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2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

Titel: 2500 Kilometer zu Fuß durch Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bauer
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Ahnung, als Geschmacksnuance, beginnt und sich anschließend im
hinteren Gaumenbereich sammelt, eine ganz besondere Note verliehen wird. Das
Meisterwerk des Menüs ist jedoch der Wein, dessen Aroma sich zunächst herzhaft
im Mund entfaltet und ein wohliges, warmes Gefühl bis in den Magen hinab
auslöst, bis es sich schließlich im Mund in seine einzelnen Komponenten auflöst
und im Abgang einen überraschend fruchtigen Geschmack von Waldbeeren am
hinteren Gaumen zurücklässt, der noch mehrere Minuten nachwirkt. Ein Wunder der
Komposition, fachmännisch erklärt von Pierre, dem Kenner, raffiniert und
äußerst subtil, wie die Franzosen selbst, möchte man sagen. Jedenfalls scheinen
die Bewohner dieser südfranzösischen Region nicht nur ihren eigenen Kopf zu
haben und eine gesunde Distanz zum politischen Tagesgeschehen zu pflegen; sie
entziehen sich zugleich einer allzu heftigen Umarmung aus Paris mithilfe eines
charmanten Hedonismus, dem man sich nur schwer entziehen kann, und so langsam
beginne ich Südfrankreich richtig zu mögen.

     
    Mehr als einmal habe ich auf dem Weg
erfahren, dass mein Wohlergehen von einer Kleinigkeit abhängt, von einer
geöffneten Dorfbäckerei beispielsweise, und letztendlich sind es die Menschen,
die diese alte Pilgerstraße lebendig machen. Die Apothekerin, die mit einem
wissenden Lächeln Anti-Blasen-Pflaster verkauft, die einfachen Landbewohner,
die mir Obst schenken, die Familie, die mich spontan in ihrem Haus übernachten
lässt, die vielen Gespräche, durch die ich neue Seiten an mir entdecke und die
Augenblicke, die mir Mut machen und mich meinen Weg fortsetzen lassen. Ohne die
spontane Hilfsbereitschaft der Menschen zwischen Konstanz und Finis Terrae wäre ich niemals ans Ziel gelangt, und unterwegs
habe ich Freundlichkeit und Respekt in einem Ausmaß erfahren, das mich oft
nachdenklich gemacht hat. Wenn ich an die Situation zu Hause denke, an die
grundsätzlich übel gelaunten Busfahrer in meiner derzeitigen Heimatstadt
München, an die entsprechend mürrischen Fahrgäste und an die cholerischen
Taxifahrer, die sich fünf Minuten lang aufregen können, wenn jemand bei Rot
über die Ampel geht, frage ich mich, warum wir nicht ein kleines bisschen von
dieser selbstverständlichen Leichtigkeit des Südens übernehmen können. Wann
haben wir damit begonnen, uns in unsere technisch aufgemotzten Schneckenhäuser
zurückzuziehen; wann haben wir die Neugier auf andere Menschen und alternative
Lebensentwürfe verloren? Vielleicht sind wir mit unserem Individualismus über
das Ziel hinausgeschossen, und jetzt müssen wir alle so frei und unabhängig
leben, dass wir vor lauter Angst davor, irgend jemandem vielleicht ähnlich zu sein, nicht mehr wissen, was wir mit unserer Freiheit
anfangen sollen.
     
     
    Die Legende der Valentré-Brücke
     
    Der erste Anblick von Cahors , Hauptstadt der Region Quercy ,
ist majestätisch. Von einer Anhöhe blickt man auf die Stadt, umrahmt von weidäufigen Feldern und Waldgebieten liegt Cahors direkt an einer Biegung des Flusses Lot. Eine
Kleinstadt mit drei Brücken und einem mittelalterlichen Kloster, eine
Ansammlung enger Gassen und Fußgängerzonen, 300 Tage im Jahr von der Sonne
beschienen. Cahors scheint uns ein „Willkommen!"
geradezu zuzurufen. Wir betreten die Stadt über die Pont Valentré, die
berühmte Pilgerbrücke. Siebzig Jahre dauerte der Bau dieses Monuments, das uns
sicher über den Lot führt. Auffällig an der Pont Valentré ist vor allem
das Abbild eines steinernen Teufels, der versucht, einen Stein aus dem Ostturm der Brücke zu ziehen.

     
    Der Legende zufolge schloss der Bauherr
der Brücke, da er fürchtete, sein Bauwerk zu Lebzeiten nicht mehr vollenden zu
können, einen Pakt mit dem Teufel. Letzterer versprach, ihm bei den Arbeiten zu
helfen und verlangte als Gegenleistung nach Abschluss der Arbeiten — wie könnte
es anders sein — die Seele des Bauherrn. Diese Sache mit der Seele scheint so
etwas wie eine Marotte Satans zu sein, ein echter Evergreen, fast schon eine
Art Seelenfetisch. Wie dem auch sei. jedenfalls forderte der findige Bauherr
kurz vor Abschluss der Bauarbeiten seinen Gegenpart dazu auf, Wasser in einem
Sieb für die Bauarbeiter heranzuholen, was diesem natürlich nicht gelang. Damit
galt der Pakt als gebrochen. Um sich zu rächen schlug der Teufel jeden Tag aufs
Neue die Spitze des Ostturms ab — bis ein späterer
Bauherr schließlich besagten Teufel aus Stein in das Bauwerk integrierte.
Seitdem glaubt

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