2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
der Teufel, dass bereits ein Dämon dabei sei, das Bauwerk zu
zerstören und legt keine Hand mehr an die Brücke.
Außer an leichtgläubige Dämonen und
findige Bauherren scheinen die Einwohner von Cahors auch an die christliche Heilslehre zu glauben; jedenfalls haben sie dem
Katholizismus durch eine monumentale Kathedrale im Herzen der Stadt ein
bedeutendes Zeugnis gesetzt. Als wir uns als Jakobswegwanderer zu erkennen
geben, erstattet man uns spontan das Eintrittsgeld zurück und wir erhalten eine
ausgiebige und kenntnisreiche Führung, zu der auch eine Erklärung der Fresken
von Cahors gehört, die teilweise beinahe
expressionistisch anmutende Züge aufweisen — erstaunlich, wenn man bedenkt,
dass sie vor über 500 Jahren entworfen wurden.
Festungen gegen die Sonne
Nach der ausgiebigen Führung beschließen
wir, uns für ein paar Stunden zu trennen: Saquina entscheidet sich für ein Mittagsschläfchen, Pierre beschließt, einige längst
fällige Postkarten zu schreiben, und ich lasse mich nach einem Abstecher ins
örtliche Internet- Cafe durch die Fußgängerzonen von Cahors treiben. Wie bereits in den Gebirgsausläufern kurz
vor Le Puy hat sich die Architektur auch in Cahors den klimatischen Bedingungen angepasst: Enge Gassen
und hohe, dicht an dicht stehende Häuser halten einen Großteil der Mittagshitze
ab, und selbst wenn die Sonne im Zenit steht, liegen viele Hinterhöfe fast
vollständig im Schatten. Im Norden Spaniens wird sich das noch intensivieren,
die Dörfer und Städte dort gleichen oftmals Festungen gegen die Sonne und
Trutzburgen gegen die Hitze. Seit wir Espalion passiert haben, umgibt uns das Flair des Südens, zu dem auch eine spezifische,
mir zuweilen fremde Vegetation gehört: Wir kommen an Feigenbäumen und
Pfefferminzsträuchern vorbei, stürzen uns in wahre Obstorgien und essen die
besten Pfirsiche, die ich jemals versucht habe: süßer als jede Schokolade,
prall gefüllt mit Fruchtzucker, überreif und Energie spendend, die eine wahre
Explosion der Endorphine, einen Schauer der Glücksgefühle in mir auslösen.
In der Jugendherberge von Cahors teilen wir das Zimmer mit einer jungen Französin,
die ebenfalls auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Schnell freunden wir uns mit ihr
an, was uns nicht besonders schwer fällt: Laetitia hat einen offenen, neugierigen
Blick, lacht gern und sehr erfrischend, argumentiert äußerst klug und
kenntnisreich und bringt neuen Schwung in unsere Gruppe. Auf dem Weg nach Moissac , unserer nächsten Station, teilt sie zudem ihr
Frühstück mit uns, wodurch wir endgültig zu einer Vierergruppe werden. Es
herrscht eine ungezwungene, von gegenseitiger Zuneigung geprägte Stimmung.
Viele unserer Ansichten stimmen überein, und manchmal habe ich das Gefühl, als
würden wir vier im gleichen Rhythmus schwingen, als seien wir auf irgendeine Weise
seelenverwandt. Ich muss meine drei Mitpilger nicht erst fragen, um zu wissen,
dass es ihnen genauso geht, und die Intensität dieser Stimmung wirft uns alle
fast aus der Bahn, so wuchtig und unmittelbar ist sie über uns gekommen.
Laetitia ist der Bewegungstyp Ballerina : elegant und graziös schreitet
sie voran, nur leicht unterstützt von einem Wanderstock, den sie in der rechten
Hand hält, während ihre linke Fußspitze bei jedem Schritt leicht nach außen
zeigt, was ihr manchmal den Anschein gibt, als tanze sie, und zuweilen muss ich
den Wunsch unterdrücken, hinter ihr zu laufen, nur um das zu sehen. Sie ist der
perfekte Gegenpart zu meiner Eigenart, mich mithilfe meiner beiden Skistöcke,
die ich nach wie vor wild entschlossen in den Boden ramme, vorwärts zu
schieben.
Im Land der Katharer
Der Süden Frankreichs war Ursprung der
Katharer, einer christlichen Abspaltung, die bis heute die Mentalität vieler
Menschen nördlich und südlich der Pyrenäen bis hinein nach Norditalien prägt.
Während ihrer Blütezeit vom 12. bis zum 14. Jahrhundert setzte diese Bewegung
die biblischen Gebote Armut, Bescheidenheit und Keuschheit resolut um. Ihr Name
geht zurück auf das griechische Wort , Katharos ’ ,
,die Reinen’, woher auch das mittlerweile eingedeutschte Wort ‘Katharsis’,
Läuterung stammt. Die Katharer brachen mit den Hierarchien der katholischen
Kirche, deren Angehörige einen feudalen, ausschweifenden Lebensstil pflegten,
lehnten den Gedanken des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden ab und
erlangten schnell Beliebtheit über Südfrankreich hinaus. Zudem setzten
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