2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
Zug, kein Flugzeug würde ihn auf bequeme Weise
wieder nach Hause bringen. Während ich in Gedanken noch ein Hohelied auf den
Fortschritt anstimme, komme ich einem Gebiet immer näher, zu dem die
Errungenschaften dieses Fortschritts noch nicht vorgedrungen zu sein scheinen.
Einem Gebiet, das als das schwerste Teilstück des gesamten Jakobswegs gilt, und
dem viele Pilger einen so großen Respekt entgegenbringen, dass sie es in einem
weiten Bogen per Bus oder Zug umfahren: Bis zum Horizont erstreckt sich vor mir
die Sonnenwüste der Meseta.
Meseta
Rekordjagd in der
Sonnenwüste
Was ist die Meseta? Die Meseta ist eine Hochebene zwischen dem
Kantabrischen Gebirgszug im Norden und der Sierra Morena im Süden. Die Meseta ist eine
250.000 Quadratkilometer große
Halbwüste, in der es fast nirgendwo Schatten gibt. Die Meseta ist eine ockerfarbene, sich bis zum Horizont streckende
Steppenlandschaft, über der im Sommer die calina ,
ein Dunst aus kleinen Staubteilchen, liegt. Die Meseta
ist eine Region, die sprachlos macht. Ich habe Pilger gesehen, denen nach Tausend Kilometern Fußmarsch Tränen in die Augen traten,
als sie die Meseta gesehen haben. Die Meseta ist ein sonnenverwöhnter Ozean, ein Meer aus baumlosen Bodenwellen, in
dem jeder Schiffbruch erleidet, der sich nicht an die Regeln hält. Die Meseta ist eine Sonnenwüste, schneebedeckt im Winter und
ausgedörrt im Sommer, wenn die Temperatur knapp über dem Boden auf bis zu 50°C
steigt. Die Meseta liefert keine Anhaltspunkte. Die Meseta bietet keine Hilfestellung. Kein Baum, keine
Häuser, nichts an das sich der Blick halten könnte. Die Meseta ist eine endlose goldgelbe Spiegelfläche für die Sonne. Bereits seit Le Puy sprechen die Pilger ihren Namen mit Respekt
aus, und die Legenden häufen sich, je näher man ihr kommt.
Die Meseta ist eine Herausforderung. Nachdem
ich Burgos verlassen habe, führt mich der Jakobsweg def hinein in die Sonnenwüste, und drei Tage lang werde ich diese große waagrechte
Fläche Richtung Westen durchqueren, die unerbittliche Sonne über mir und die
sandigen Böden bis zum Horizont unter mir. Viele Pilger machen einen Bogen um
diese unwirtliche Gegend, und unterwegs komme ich an mehreren Kreuzen vorbei,
dort wo andere, die es versuchten, ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Und
dennoch — vielleicht auch: eben darum — freue ich mich auf meine
Auseinandersetzung mit dieser Region.
Ich sollte nicht enttäuscht werden: Kein
Abschnitt des Jakobswegs kam mir bisher so gewaltig vor. Noch vor Sonnenaufgang
mache ich mich auf den Weg. Obwohl man mir davon abrät, möchte ich die Sonnenwüste
allein durchqueren. Nach einer knappen Stunde beginnt die Hitze vom Boden
aufzusteigen, und wenn die Sonne den Zenit erreicht hat, ist es, als hätten
ihre Strahlen die Meseta mit einer zähen, klebrigen Flüssigkeit gefüllt, die
meine Bewegungen künstlich verlangsamt. Als sei ich in einen riesigen Pool mit
Quecksilber gefallen. Den anderen geht es kaum besser: Wenn ich ihnen begegne,
kann ich durch die Staubfäden, die die Winde um mich herum aufwirbeln, ihre
bedächtigen, kleinen Schritte erkennen. Manchmal kommt mir das alles wie ein
Traum vor, und trotzdem muss ich hellwach sein. Ich muss die richtigen
Entscheidungen treffen: Wann mache ich Pause? Wie teile ich meine Kräfte am
besten ein? Wie viel Wasser nehme ich mit? Wo werde ich übernachten? So zurückgeworfen
auf mich selbst, umgeben von staubtrockenen Winden, die an meinen Haaren zerren
und unterwegs auf diesem Weg, der die riesige dunkelgelbe Einöde in zwei Teile
schneidet, ein unglaubliches Wagnis, eine Herausforderung der Elemente, greift
mich, wie schon in Navarra, dieses Jakobsweg-Gefühl an. Destination Santiago,
Ihr wisst schon. Es muss sich in einer Bodenwelle der Meseta versteckt gehalten haben, denn plötzlich ist es bei mir, und ohne
Vorwarnung sorgt es dafür, dass ich mitten auf dem Weg anfange zu lachen. Ich
lache in die Winde hinaus, ich pruste den Staubkörnern zu, ich schicke eine
Lachsalve zur Sonne. Zum Glück sind gerade keine weiteren Pilger in der Nähe.
Jetzt schreite ich wieder mit großen, energischen Schritten aus, denn ich habe verstanden:
In dieser gnadenlosen Umgebung ist nicht nur die Unerbittlichkeit, sondern auch
die Schönheit zu finden, beide gehen Hand in Hand, sie sind nicht zu trennen,
und sie werden mich sicher nach León, ans Ende dieser Wüste, führen.
Die Meseta ist Schauplatz einer Vielzahl
von liegenden
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