2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
aufgebrochen, lustige
Burschen, die den Weg nach Santiago per Fahrrad zurücklegen und sich lautstark
über die beste Zubereitung von Cocktails und das kommende Konzert der Anarchopunks Ska -P in Madrid unterhalten. Ska -P (die
spanisch escape ausgesprochen werden und den
Klassiker Cannabis produziert haben) kennt hier jeder. „Also, mein
deutscher Freund, mach’s gut, wir sehen uns ja wahrscheinlich nicht wieder!“,
haben die drei mir kurz nach León zugerufen. Umso größer ist ihr Erstaunen, als
ich am selben Abend gut gelaunt im Foyer der Pilgerherberge von Astorga
auftauche. Ab diesem Moment bin ich in ihren Augen ein Held und werde überall
als derjenige vorgestellt, „der heute den ganzen Weg von León bis hierher
gelaufen ist“. Am nächsten Tag legen sie extra zehn Kilometer mehr zurück und
stoßen bis Ponferrada vor — wo ich zweieinhalb Stunden später ebenfalls
aufkreuze. „Guten Abend, wie geht’s euch“, sage ich betont lässig in ihre
ungläubigen Gesichter, „nette Landschaft war das heute, was?“.
Das sind kleine Belustigungen am
Wegrand. Es gibt aber auch echte Helden des Jakobswegs. Es sind weniger
diejenigen, die 50 Kilometer und mehr pro Tag zurücklegen. Es ist
beispielsweise die knapp 80-jährige Frau, die ich beim Aufstieg zum Cruz de Ferro überhole, und die lieber
ein Abenteuer erleben will, als vor dem heimischen Fernseher zu vegetieren und
sich darum entschlossen hat, in kleinen, stetigen Etappen von León nach
Santiago zu laufen. Oder der junge Mann, der mir eines Morgens in einem Park
einen Apfel unter die Nase hält und mich fragt, ob ich sein Frühstück mit ihm
teilen will. Er hat nur noch ein Bein, und dennoch humpelt er jeden Morgen von Neuem los Richtung Santiago, lächelt anderen Wanderern zu
und flirtet mit den Pilgerinnen.
Eine hoch motivierte Schnellfeuerwaffe
Ironischerweise wird in der
Pilgerherberge von Astorga ein Stadtrundgang angeboten. Interessante Idee, sich
nach 55 Kilometern Fußmarsch auf eine kleine Stadtbesichtigung zu begeben.
Dabei fällt mir wieder auf, wie laut und lebendig selbst die kleineren Städte
in Spanien sind. Astorga liegt auf einer Anhöhe, bereits von Weitem sieht man seine Stadtmauern. Stolz blickt es auf seine Umgebung herab. In der
Altstadt reiht sich Kirche an Kirche, und unsere Reiseleiterin scheint sich
vorgenommen zu haben, sie alle zu besichtigen. Dabei zeigt sie ganz aufgeregt
auf die alten Inschriften, fuchtelt mit ihrem Fächer vor der Nase herum und
lässt gleichzeitig einen Schwall Worte auf uns regnen, der sich wie eine
Maschinengewehrsalve anhört. Zum Durchladen holt sie zwischen manchen Sätzen
tief Luft, was wiederum an das schrille Pfeifen eines entfernten Zuges
erinnert. Die Frau ist ein Phänomen, eine echte Spanierin, die sich einen
Teufel darum schert, ob wir etwas von dem verstehen, was sie auf uns loslässt,
und mir fällt auf, dass ich zeitweilig gar nicht mehr auf den Inhalt ihrer
Worte achte, sondern nur staunend versuche herauszufinden, wo ein Satz aufhört
und der nächste beginnt. Generell ist das ursprüngliche Spanisch — castellano — wie es in Zentralspanien gesprochen wird,
äußerst zackig und besteht vor allem aus abgehackten Worten, wobei es die
Einwohner des Landes dank jahrelanger Übung dennoch hinbekommen, das Ende eines
Wortes manchmal, aber nicht immer, nahtlos mit dem Anfang des folgenden Wortes
zu verschmelzen. Eine Meisterleistung, wenn man mich fragt. Darüber hinaus
leisten sich die Spanier einige kleine Schmunzeleien ,
wie zum Beispiel die lässige Angewohnheit, auf sämtliche Personalpronomen zu
verzichten: Hier sagt man nicht ,ich gehe’ ( yo voy ) oder ,weißt Du?’ (¿ sabes tu?), sondern nur voy und ¿ sabes ?, denn wer
gemeint ist, erkennt man ja an der Form des Verbs. Erschwerend kommt hinzu,
dass sich die Einwohner dieser Halbinsel nicht entscheiden können, ob sie den Buchstaben ,v’ nun eher wie ein ,w’ oder doch lieber wie ein
,b’ aussprechen wollen, dass sie das ,r’ manchmal rollen — ganz besonders wenn
sie aufgeregt sind — aber nicht immer, und dass das ,c’ und das ,z’ manchmal
gelispelt wird, aber — genau: nicht immer. Interessant hört sich das
beispielsweise an, wenn ein Energiebündel wie unsere Reiseleiterin den Namen
der schönen südspanischen Stadt Jerez ausspricht: Chchärrrässsü !
— da sucht man automatisch nach Deckung. Vor allem weil bei der letzten Silbe
abrupt die Zunge vorschnellt und gefährlich zwischen den Lippen
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