2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
brannte
eine windige Lampe. Eine Vase mit weißen Lilien verströmte süße Düfte im Raum.
Auf dem Boden schliefen das Rebhuhn und der Falke friedlich nebeneinander. An
jener Stelle ließ König García Sanchez ein Kloster errichten, direkt neben dem
Jakobsweg und gab ihm den Namen ,Santa María la Real
de Nájera’. In Burgos wiederum steht, wenn nicht unbedingt die
eindrucksvollste, so doch die größte Kathedrale auf dem Jakobsweg. In dem 108
Meter langen und 84 Meter hohen Gotteshaus ruhen die Gebeine des spanischen Nationalhelden , El Cid’
(1043-1099). Durch Intrigen aus dem Reich verbannt, kämpfte er vorübergehend
für die Mauren, bevor er sich zurück auf die christliche Seite schlug und 1094 Valenda eroberte, das er bis zu seinem Tod unter
christlicher Herrschaft hielt. Mitte des 12. Jahrhunderts entstand das , Poema de mío Cid’, durch das , El Cid’ zum Inbegriff des edlen
spanischen Ritters wurde.
Eine Spanierin kuschelt sich in meinen
Schlafsack
Am Ortseingang von León tausche ich die
Entbehrungen der Meseta gegen die bunten Verlockungen
der Zivilisation ein. Was für ein Wechsel! In den Fußgängerzonen der Stadt
rempeln mich Touristen an, aus den Bars ertönt Musik, und der Geruch von Parfüm
mischt sich mit dem Zuckergeschmack aus den Konditoreien. Sympathischerweise verfügen die Einwohner Leóns über die typisch spanische Eigenschaft, ihre
Religiosität in erster Linie als rauschendes Lebensfest zu zelebrieren. So versinke
ich in der gotischen Kathedrale Santa María de la Regia gegenüber des 1.800 m 2 großen runden Buntfensters an der Vorderfront
in Gedanken und schließe mich beim Hinausgehen einem lustigen Pilgertrupp an,
der aus einer Deutschen, einem Slowaken und einem Australier besteht. Kurz
darauf stößt noch eine Italienerin dazu, die mich ständig zu einem Café
einladen will. Die Rollenverteilung im Süden beginnt mir zu gefallen, und genau
so sollte es weitergehen. Denn nach dem Pilgergottesdienst in einem Nonnenkloster
kehre ich zurück zur Herberge und finde dort zu meinem Erstaunen eine junge
Spanierin vor, die sich in meinen Schlafsack kuschelt. „Ach, weißt du, ich habe
gesehen, wie du aus der Herberge gegangen bist, und da ich zu faul war, meinen
Schlafsack auszubreiten, dachte ich mir, nehme ich halt deinen.“ Sie zwinkert
mir schelmisch zu; woher weiß sie eigentlich, dass ich spanisch spreche? Ihre
Augen sind schwarz wie Kohlestücke, das Licht der Decke spiegelt sich darin,
und für einen Moment spüre ich etwas wie einen inneren Magneten, der mich
heftig in ihre Richtung zerrt. „…dachte ich mir, nehme ich halt deinen.“ Dann
erinnere ich mich, dass um uns herum etwa 150 Pilger sind und ich geradewegs
aus einem Gottesdienst komme. Am nächsten Morgen sollte ich sie wieder sehen;
sie ist mit dem Fahrrad von León nach Santiago unterwegs. Als sie mich überholt
und ich sie simpática nenne, fällt sie fast
vom Rad.
Als ich León verlasse, drückt man mir
einen Flyer der Vereinigung Mañas Legion in die Hand. In Navarra und der Meseta habe ich zuvor bereits Bekanntschaft mit
den Verteidigern Gottes und den ‘Rittern Jesu gemacht. Ein
wirklich tiefer Glaube ist allgegenwärtig. Hier bin ich meilenweit entfernt von
der Rationalität und der sarkastischen Ironie in meinem Heimatland, der
berechnenden Witzigkeit, die alles, was über das Produzieren und Konsumieren
hinausgeht, ins Lächerliche zieht. Stattdessen treffe ich vielerorts auf eine
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die mich verblüfft, und die in vielen
südamerikanischen Ländern noch ausgeprägter ist als in Nordspanien. Regelmäßig
weinen Menschen in den überfüllten Kirchen, manche berühren mich und hoffen,
dass dadurch ein Teil von ihnen mit nach Santiago gelangt, Andere stecken mir
Zettel mit Wünschen zu oder bitten mich, in der Kathedrale von Santiago für sie
zu beten. Und obwohl mir manches davon antiquiert und naiv vorkommt, tut es
trotzdem gut, auf ein so konsequentes Gegenbild zur gewohnten Abgebrühtheit zu
stoßen.
Belustigungen am Wegrand und echte
Helden
Nach León lege ich richtig los. Es ist
kein Plan, es ergibt sich einfach. Zunächst laufe ich ins 55 Kilometer
entfernte Astorga, am nächsten Tag lege ich von dort aus die bisher längste
Tagesstrecke zurück: 65 Kilometer über Gebirgsketten und das Cruz de Ferro, den
am höchsten gelegenen Punkt des Jakobswegs in Spanien, bis in die Stadt
Ponferrada. In León bin ich zusammen mit drei Spaniern
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