2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
sein?“, schmeißt er mir entgegen, und als ich etwas von jamón murmele, packt er sein Messer und hackt auf
einen riesigen Schinken ein, den er mir zusammen mit einem halben Liter Wein
auf einem Holzbrett serviert. So komme ich zu einem rustikalen Mittagessen. Als
ich gerade aufbrechen will, kommt neuer Besuch in das Gasthaus: Die drei
Spanier, die Radfahrer, die ich seit León immer wieder einhole, betreten die
Bar. Wie immer sind sie perplex, mich hier anzutreffen, und ihr Staunen
steigert sich zudem exponentiell, als sie Mister Hotzenplotz entdecken. Als sie ihm jedoch stecken, dass ich vorgestern noch in León war,
beginnt er in mir so etwas wie einen Verbündeten gegen ,diese ganze verweichlichte Jugend’ zu sehen, was mir dann doch zu bunt wird. Wenn der
wüsste, dass ich an keinem Kiosk vorbeigehen kann, ohne mir ein Eis zu kaufen,
und dass ich panische Angst vor Wespen habe, würde er wohl kein Wort mehr mit
mir wechseln. Oder gleich Hackfleisch aus mir machen, so wie er vorhin den
Schinken malträtiert hat. So aber fürchte ich, dass er mir irgendwann auf die
Schulter klopfen wird und mir „Solche Männer brauchen wir!“ oder etwas ähnlich
Unpassendes entgegen schreit, und mache mich, um das zu vermeiden, wieder auf
den Weg nach draußen.
Das ,Eisenkreuz’
Das Wetter hat gewechselt. Ein kühler
Wind zerrt an meinen Haaren, die ersten Wolken schieben sich über die
Bergspitzen. Aus meiner leidvollen Erfahrung in Frankreich habe ich gelernt,
dass es keine allzu gute Idee ist, während eines Gewitters auf einem freien
Feld zu stehen. Schon gar nicht aber sollte man sich im Gebirge aufhalten. Noch
bleiben mir allerdings ein paar Stunden, also marschiere ich schnurstracks zum Cruz
de Ferro , dem ,Eisenkreuz’ , mit 1.500 Metern der
am höchsten gelegene Punkt auf dem spanischen Jakobsweg. Das Eisenkreuz
schraubt sich auf einem etwa fünf Meter hohen Steinhaufen den Wolken entgegen.
Es ist eine Tradition des Jakobswegs, dass Pilger einen Stein mit nach oben
tragen und als Zeichen der Absolution für ihre Sünden an diesem Kreuz
niederlegen. Der höchste Punkt des spanischen Jakobswegs ist außerdem übersät
von Botschaften: T-Shirts flattern wie Flaggen im Wind, auf Mützen, Zetteln,
Steinen liest man paz por el mundo und immer
wieder Animo !, als Ermutigung für
nachfolgende Wanderer. So ist das Cru z de Ferro ein buntes,
wohltuend chaotisches Monument, das sich ständig verändert und darum immer
wieder neu zu entdecken ist.
In Molinaseca, meiner letzten Station
vor Ponferrada, feiert die Jugend heute das ,Fest des
Wassers’. Die Regeln dieses Festes sind nicht sonderlich komplex: Das Ziel
besteht darin, mit einem Eimer Wasser durch die Dorfgassen zu laufen oder an
einem Fenster der oberen Stockwerke zu lauern, um möglichst vielen Einwohnern
den Inhalt des Eimers zugute kommen zu lassen. Mit
feierlicher Inbrunst kommen die jugendlichen Dorfbewohner dieser Aufgabe nach.
Links und rechts von mir spritzt und platscht es unaufhörlich, und ich werde
Zeuge manch unfreiwilliger Dusche. Gleichzeitig spritzen die öffentlichen
Lautsprecher Molinasecas Reggae- und Salsarhythmen in das Dorf, und auf dem Hauptplatz tanzen
einige durchnässte Gestalten.
Anne und Pascal
In der örtlichen Herberge halte ich ein
Schwätzchen mit dem spanischen Gastgeber, der mir daraufhin unbedingt die
Übernachtung schenken will: „Man sieht es dir an, dass du glücklich bist, man
liest es in deinen Augen“. Trotzdem beschließe ich, vollends nach Ponferrada zu
gehen, wo ich nicht nur die drei Rad fahrenden Spanier vermute, sondern auch
Anne und Pascal, mit denen ich mich in den vergangenen Tagen angefreundet habe.
Anne ist eine hoch gewachsene Sportlehrerin aus Issy -les- Moulineaux mit viel Sinn für ironische Wendungen, Pascal
ein zäher Bursche aus der Normandie, der über ein strahlendes, willkommen
heißendes Lächeln verfügt. Jedes Jahr entscheidet, immer abwechselnd, einer der
beiden, wie die sechs Wochen Sommerferien verbracht werden sollen. Der
Jakobsweg war Annes Idee; davor waren die beiden in Nepal. Im nächsten Jahr
soll es nach Grönland gehen. Anne schiebt sich mit großen Schritten voran, die
Fußspitzen leicht nach innen gedreht, und ihre wohlüberlegte Art, die keine
hastigen Wendungen zulässt, erinnert mich an die souveräne Anmut einer Giraffe.
Im Vergleich dazu macht Pascal kleinere, schnelle Schritte; er wirkt sehr
leichtfüßig, legt aber in jeden Schritt dermaßen viel
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