Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

Titel: 2500 Kilometer zu Fuß durch Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bauer
Vom Netzwerk:
Entschlossenheit, als
könnte es sein letzter sein, und darum ist er für mich der Bewegungstyp Leichtgewichtsboxer. Wie man an ihrer originellen Art, die Ferien zu verbringen, bereits erkennt,
sind Anne und Pascal gemeinsam und jeder für sich eigensinnig und äußerst
freiheitsliebend. Sie folgen ihrem eigenen Rhythmus, weswegen wir uns, obwohl
wir in Tosantos und Burgos gemeinsam übernachtet haben, zwischendurch immer wieder
aus den Augen verlieren, um uns anschließend auf wundersame Weise auf dem Weg
wieder zu finden.
     
    Kaum bin ich in Ponferrada angekommen,
prasselt das Gewitter los, dessen Vorboten mich seit Foncebadón begleitet
haben. Hagelkörner peitschen auf den Lehmboden des Geländes, auf dem ich mich
in ein von der spanischen Armee gespendetes Zelt für Pilger zurückgezogen habe.
Aus dem Zelt gegenüber winken mir Anne und Pascal zu, lachend zeigen sie auf
einen Topf dampfender Suppe, über den wir uns unverzüglich hermachen. Wieder
einmal bin ich den beiden zwar gewollt, aber auch dank einem Quäntchen Glück,
in die Arme gelaufen, und von nun an sollten wir bis Santiago mehr und mehr
Zeit miteinander verbringen. Gemeinsam machen wir uns am nächsten Morgen daran,
die letzten Kilometer der Region Castilla y León
zurückzulegen, um anschließend das sagenumwobene Bergdorf O Cebreiro, unsere
erste Station in Galizien, zu erreichen.

Galicia
     

Ankunft an der
Todesküste
     
    Galizien ist vermutlich die sonderbarste
Region Spaniens. Im sechsten Jahrhundert vor Christus wanderten hier die Kelten
ein und hinterließen ihre Spuren vor allem in der Sprache, dem gallego , und der Musik, die auch heute noch zumeist
mit Einsatz der gaita , des galizischen
Dudelsacks, gespielt wird. In den Ritualen und Bräuchen der Region leben
zahlreiche keltische Elemente weiter, dem Meer und den Steinen spricht man
übernatürliche Kräfte zu. Der Totenkult spielt eine entscheidende Rolle, und
viele Galizier glauben an Seelenwanderung und
Hexerei. Parallel dazu ist der Einfluss der katholischen Kirche nirgendwo im
gottesfürchtigen Spanien größer als hier, was vor allem auf die Entdeckung des
Apostelgrabs und die Entwicklung von Santiago de Com-postela zu einem der bedeutsamsten Wallfahrtsorte zurückgeht. Seit 1981 besitzt
Galizien einen besonderen Autonomiestatus und verfügt über ein eigenes
Parlament. Wirtschaftlich zählt es zu den unterentwickeltsten Regionen
Spaniens, über die Hälfte der knapp drei Millionen Galizier arbeitet in der Landwirtschaft oder im Fischfang. Seit etwa 1950 verzeichnet
die Region einen Emigrationsboom nach Südamerika; in Buenos Aires leben
mittlerweile mehr Galizier als in jeder galizischen
Stadt.
     
     
    Marc
     
    Und in Galizien regnet es an fast 300
Tagen im Jahr. Umhüllt von meinem Regenschutz erreiche ich am späten Nachmittag
den Grenzstein, der nach den vielen schweizerischen Kantonen, nach den
zahlreichen französischen Départements und den
spanischen Regionen Navarra , La Rioja und Castilla y León die letzte noch verbleibende Region auf meinem Weg ankündigt. Ich
bin mit Marc unterwegs, einem Philosophielehrer aus dem Eisass ,
der seine Worte mit Bedacht wählt. Niemals entschlüpft ihm eine
Belanglosigkeit; Gesprächspausen nimmt er in Kauf, ohne die Stille mit einem
hastigen Einsprengsel zu zerbrechen. Ein wortkarger eigensinniger Kauz, doch
wenn er sich dazu durchringt, einen Satz zu äußern, kann man sicher sein, dass
die Sache Hand und Fuß hat. Mir kommt es vor, als drehe er jedes Wort erst zwei
Mal um, als betrachte er es prüfend von allen Seiten, bevor er es benutzt, und
die Sorgfalt, die er in seine Auswahl legt, beeindruckt mich sehr. Zu meinem
Leidwesen kann ich bei Marc keinen Bewegungstyp ausmachen, da er sich zum
Schutz vor dem Regen in einen langen Mantel gehüllt hat. Vor 22 Jahren ist er
diesen Weg bereits gegangen, damals hat ihm ein Mädchen übel mitgespielt. Jetzt
ist er 44, und nach wie vor können die meisten Frauen wenig mit seiner
wortkargen Intellektualität und seinem Interesse an verschachtelten
Gedankengängen anfangen, was er mittlerweile jedoch mit mehr Gelassenheit
hinnimmt.
     
    Mit der Erfindung von Mann und Frau hat
der liebe Gott seinem Hang zu ironischen Spitzfindigkeiten einmal mehr vollen
Lauf gelassen. Die Erschaffung dieser beiden Kreaturen ist definitiv ein Meilenstein
in seiner an sonderbaren Einfällen keineswegs armen Karriere als Schöpfer, ein
Glanzlicht, mit dessen Konsequenzen wir uns durch die Jahrhunderte

Weitere Kostenlose Bücher