2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
Kilometer
Fußmarsch hinter sich haben; religiöse Eiferer, die das Bildnis Marias mit sich
tragen; leicht bekleidete Touristinnen, die ihre Reize spazieren führen;
dickbäuchige Anzugträger auf der Suche nach dem besten Kuchen der Stadt;
Einwohner, die sich geschickt durch das Touristengewühl hangeln und natürlich
Pilger, mit Wanderstöcken, mit Jakobsmuscheln, mit Dreck in den Haaren und
schmutziger Kleidung. Pilger, die auf den Stufen der Kathedrale
zusammenbrechen. Pilger, die sich auf dem Hauptplatz umarmen. Pilger, denen die
Anstrengung der Reise ins Gesicht geschrieben steht. Pilger mit leuchtenden
Augen, die beim Betreten der Kathedrale in Tränen ausbrechen. Pilger mit
sonnengebräunten Gesichtern, die ergriffen von der Messe wie angewurzelt auf
ihren Plätzen bleiben. Pilger, die begeistert Beifall klatschen, wenn der
riesige Weihrauchbecher, das Wahrzeichen der Stadt, in der Kathedrale über ihre
Köpfe rauscht. Und Pilger, die plötzlich begreifen, dass sie es geschafft
haben, dass sie angekommen sind, angekommen in Santiago. In einer Stadt, die
von ständigem vielsprachigen Gemurmel erfüllt ist. In einer Stadt, in deren
historischem Zentrum von überall her Musik ertönt. In einer Stadt, in der die
verführerischen Gerüche der frisch zubereiteten Meeresfrüchte, der vieira (Jakobsmuschel) und des in ganz Spanien bekannten pulpo (Tintenfisch), mit dem Anblick der tarta Compostelana (einer
speziellen Mandeltorte) und der nur hier erhältlichen crema de orujo (ein äußerst raffinierter Likör) eine
Mischung ergeben, der man sich kaum entziehen kann.
Drei Tage lasse ich mich durch die
Gassen Santiagos treiben. Ich lasse mich von der Straßenmusik wiegen und
schwinge im Rhythmus der Besucherströme durch die Stadt. Zunächst besuchen Anne,
Pascal, Marc (der in Santiago wieder zu uns gestoßen ist) und ich das zentrale
Pilgerbüro. Wer zumindest 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer per Fahrrad
oder Pferd zurückgelegt hat, erhält hier seit dem 15. Jahrhundert die Compostelana , eine lateinische Urkunde als Beweis
der erbrachten Pilgerleistung. Der Wegverlauf wird dabei durch Stempel
nachgewiesen, die die örtlichen Herbergen in eigens entworfene
,Pilgerpässe’ drücken. Im Pilgerbüro macht die Angestellte, die sich um
meine Angelegenheit kümmert, eine erstaunliche Wandlung durch: Misstrauisch
blickt sie mich an, als ich als meinen Ausgangspunkt einen Ort angebe, von dem
sie noch nie etwas gehört hat, ungläubig starrt sie daraufhin auf meine
Pilgerpässe und zeigt meine Stempel ihrer Kollegin, bevor sie mir schließlich
begeistert die unterschriebene Compostelana überreicht. Jetzt bin ich offiziell als Pilger anerkannt.
Die Pilgermesse von Santiago
Derart ausgerüstet nehme ich daraufhin
an der zentralen Pilgermesse teil. Die Kathedrale von Santiago de Compostela ist nicht das größte Bauwerk dieser Art auf dem Jakobsweg, aber sie ist
definitiv das beeindruckendste . Die Kreuzgänge des
romanischen Gotteshauses beinhalten gotische Säulenformen und
Renaissanceelemente; zahlreiche abgetrennte Räume bieten Möglichkeiten für
innere Einkehr; und in der Krypta unter dem barocken Hochaltar liegt das Grab
des heiligen Jakobus, Santiago el Mayor. Erst seit
1878 ermöglichte ein Umbau der Kathedrale den Zugang zum Apostelgrab. Nach
jahrhundertealter Tradition drücken die Pilger zunächst die fünf Finger der
rechten Hand gegen die Säule des Santo dos Croques und hoffen durch die
gleichzeitige dreimalige Berührung der Statue mit dem Kopf, sich die Genialität
des Baumeisters der Kathedrale, Mateo, anzueignen. Danach umarmen und küssen
die Gläubigen den goldenen Baldachin, bevor es hinab zum Heiligsten geht, dem
Grab des Apostels. Ein ständiger Pilgerstrom sorgt für Bewegung in der
Kathedrale und während der Pilgermesse ist das Gebäude für gewöhnlich bis auf
den letzten Platz besetzt.
Hauptattraktion ist dabei der über einen
Meter hohe und 50 Kilogramm schwere botafumeiro , der Weihrauchkessel, der zum Abschluss der Messe von sechs Mönchen quer durch
die gesamte Kirche geschleudert wird, dicht über die Köpfe der Zuhörer hinweg.
Fällt der Namenstag des Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag, werden so
genannte ,Heilige Jahre’ ausgerufen, in denen die Puerta Santa , die ,Heilige Pforte’ der Kathedrale, geöffnet ist, und die
galizische Regierung das Xacobeo , ein kulturelles
Begleitprogramm, für Pilger und Einwohner auf die Beine stellt, das
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