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254 - Das Nest

254 - Das Nest

Titel: 254 - Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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dicke Taratze - anscheinend ein Weibchen - die blutverschmierten Tücher und zwei unbrauchbar gewordene Waffengurte fortzog. Sie brachte die Sachen zu einer Tür in der Wand schräg gegenüber und riss sie weit auf, ehe sie im Raum verschwand.
    Anscheinend war es ein ehemaliger Schaltraum der Station. Rulfan sah lange rostige Hebel aus den Schatten der Stellwerke hervorragen.
    So einen abgebrochenen Hebel könnte man gut als Waffe verwenden , überlegte Rulfan. Wieder berührte er die Eisenkette um seinen Hals. Wie konnte er Hrrney überreden, ihn loszumachen? Der Taratzenkönig hatte nach der routinierten Tötung seines Kritikers wieder genug Elan, auf die Wände der Station einzuschlagen. Alte Kachelstücke spritzten, als er eine lose Zierplatte zertrümmerte. »Hrrney!«, rief Rulfan laut. Der König der Taratzen fuhr herum und kam rasch näher. Seine Füße donnerten über den Boden. Die kleinen Augen schimmerten bösartig im Licht der Flammen. »Wass? Wass willsst du, Rrulfan?«
    »Dir ein Angebot machen!«
    Der König zog die Lefzen hoch, als wolle er lachen. »Du?«, brachte er hervor. »Wass könntesst du mirr fürr ein Angebot machen?«
    »Ich rede mit der Hexe. Von Mensch zu Mensch. Mich wird sie nicht töten wie deinen Boten und all die anderen.«
    Hrrney gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Wutschnauben und Lachen lag. »Glaubsst du, Hrrney wärre dumm? Du willsst fliehen! Aberr ich lassse dich nicht gehen!« Er packte Rulfan und zerrte ihn mit sich. Die lange Kette ließ viel Spielraum. Hrrney zog ihn bis zu dem tiefen Riss zwischen den Gleisen, der bei einem Erdbeben entstanden sein musste. »Du wirrsst mehrr errklärren, Rrulfan! Nicht nurr Medizzin, nein! Tekknik! Waffen!«
    Rulfan hatte gestern Nacht notgedrungen damit begonnen, den Taratzen Bunkerwissen zu vermitteln. Angefangen hatte er dabei mit einem Erste-Hilfe-Kasten, angeblich, um die Taratzen nicht gleich zu überfordern. In Wahrheit natürlich, um weitere Zeit zu schinden, aber wenigstens seinen guten Willen zu demonstrieren. Heute würde er die Taratzen nicht noch einmal hinhalten können.
    Hrrney zerrte ihn ganz nach vorne an den Riss. Der Grund der Spalte lag im Dunkeln. Hrrney kickte einen faustgroßen Geröllbrocken über den Rand und legte den pelzigen Finger an die Rattenschnauze. Rulfan lauschte. Es dauerte fünf Sekunden, bis er aus der Ferne ein Poltern hörte.
    Hrrney knurrte drohend. »Du wirrsst sterrben, Rrulfan, wenn du mich nicht zufrrieden stellsst! Will alless wisssen! Alless!«
    Rulfan sah dem Taratzenkönig unverzagt in die Augen. »Wenn ich dir alles erklärt habe, Hrrney, sterbe ich sowieso. Weil du mich dann nicht mehr brauchst.«
    Er wusste selbst nicht, was über ihn gekommen war. Halb erwartete er, dass der Taratzenkönig ihn aus Zorn über seine unverfrorenen Worte gleich hinab in den Abgrund schleudern würde.
    Doch Hrrney hatte das Maul leicht geöffnet - gelber Speichel troff neben Rulfan zu Boden - und sah den weißhaarigen Mann nachdenklich an.
    Dann packte er ihn an den Schultern und stieß ihn zurück auf das Felllager. Er sah aus, als wolle er über Rulfans Worte nachdenken.
    ***
    Oktober 2525, London Northolt
    Es war späte Nacht. Matt und Aruula hatten die X-Quads in einen wuchernden Busch geschoben und stiegen einen Hügel hinauf, der durch Bäume und Sträucher genügend Sichtschutz bot. Matt hielt das Binokular in der Hand. Er richtete es auf die vor ihnen liegende Ruinensiedlung.
    »Da hinten ist tatsächlich Licht«, stellte er fest. »Du hast dich nicht getäuscht. Sieht so aus, als hätten wir das Hauptquartier der Demokraten endlich gefunden.«
    Der Platz sah aus wie ein ehemaliger Flughafen. Trotz der wuchernden Pflanzen glaubte Matt eine Landebahn ausmachen zu können. Außerdem erkannte er Überreste von Stacheldrahtzäunen im Herzen der Anlage, die mehrere Gebäude einschlossen. Er reichte das Binokular an Aruula weiter.
    Die Barbarin nickte. »Sehen wir nach, bevor es hell wird.«
    Sie stiegen den Hügel wieder hinab und näherten sich erst mit den X-Quads, dann zu Fuß dem beleuchteten Teil des Geländes. Chira blieb dicht bei ihnen. Die Lupa witterte immer wieder in der Luft.
    »Es ist elektrisches Licht«, flüsterte Matt. »Der Strom kommt vermutlich aus einem Generator.«
    »Warum versorgen sie nur dieses eine Haus?«, fragte Aruula.
    »Es wäre nur vernünftig, wenn sie ihre wenige Technik auf einen Kernbereich zusammengezogen hätten«, gab Matt zurück. »Sie haben das

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