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255 - Winterhexe

255 - Winterhexe

Titel: 255 - Winterhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Visage schob sich in sein Blickfeld. Rothschild erbleichte, als er Luther, Corrs Ersten Leibgardisten, erkannte. Der Mann war für seine Skrupellosigkeit bekannt - und seine schlechte Aussprache. Für den Job zählte weniger Verstand als körperliche Überlegenheit.
    »Wen ham wir'n da? Wenn das mal nich unser Professor is, nach dem mein Herr suchen lässt…«
    Rothschild zuckte innerlich zusammen. Dann stimmte es also. Sein Verrat war entdeckt worden, und Angus Corr hatte sofort reagiert. Aber wie -
    Sein Widerstand erlahmte jäh, als er etwas Unmissverständliches und Unverwechselbares an seiner Kehle spürte: den kalten Stahl eines Dolches.
    Für Rothschild war in diesem Moment klar, was jetzt kommen würde. Ein Ruck - und er würde mit aufgeschlitzter Kehle zu Boden gehen. Sein Bewusstsein würde schwinden, und unter seinem sterbenden Körper würde sich eine riesige Blutlache bilden.
    Aber hatte er das nicht schon einmal geglaubt? Ein noch immer rätselhaftes Geschick hatte ihn vor dem Schwert des Vergewaltigers gerettet. Und nun…
    ... rettete ihn ein anderes Geschick.
    Bis in Rothschilds Nacken hinein pflanzte sich die Erschütterung, mit der sein Häscher knüppelhart getroffen wurde. Statt im Reflex doch noch die Dolchklinge über Rothschilds Kehle zu ziehen, öffnete sich Luthers Hand und ließ die Waffe fallen. Gleichzeitig lockerte sich die Pranke, die Rothschild im Genick gepackt hatte. Der Mann krachte zu Boden, wo sein Messer bereits angekommen war.
    Rothschild wankte und rieb sich leise röchelnd den Hals. Hinter ihm stand die Frau, der er Minuten zuvor noch er beigestanden hatte. »Jetzt sind wir quitt«, keuchte sie und warf den Knüppel beiseite, mit dem sie zugeschlagen hatte. »Okee?«
    »O-kay…«, antwortete er reflexartig. Rothschild starrte sie an wie ein Gespenst. Er überlegte, ob er jemals zuvor einen Menschen mit so viel Hass in den Augen gesehen hatte.
    »Hilfst du mir trotzdem, hier wegzukommen?«
    Irgendwie überraschte ihn die Frage. Ihr Hinweis, jetzt quitt mit ihm zu sein, hatte ihn vermuten lassen, dass sie ihre eigenen Wege gehen würde. Rothschild taxierte sie kurz. Sie trug ein Kleid, das sie inzwischen wieder leidlich zurechtgeschoben und -gezupft hatte. Um die gertenschlanke Taille schlang sich ein Gürtel, und als sie nun hinter sich griff, brachte sie das Kurzschwert zum Vorschein, das ihr Rothschild überlassen hatte.
    »Sie sind hinter mir genauso her wie hinter dir«, fügte das Mädchen hinzu.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich schätze, an mir sind sie vielleicht doch eine Spur interessierter.«
    Ein leichtes Kopfschütteln. »Das glaube ich nicht.« Sie hielt ihm das Schwert hin.
    Im ersten Moment dachte der Retrologe, sie wolle es ihm zurückgeben. Dann sah er das Blut, mit dem die Klinge über ihre gesamte Länge beschmiert war. Und verstand, was sie ihm damit sagen wollte. »Du… hast ihn umgebracht?«
    »Zerhackt wie einen Klumpen Fleisch.« Sie nickte. In ihren Zügen lag Genugtuung. »War das falsch?«
    War das falsch? Rothschild sackte das Blut aus dem Kopf. Für einen Moment fühlte er sich völlig leer und von der Situation überfordert. »Darüber reden wir ein andermal. Jetzt müssen wir verschwinden. Raus aus der Festung, raus aus der Stadt. Meine Tarnung dürfte nutzlos geworden sein. Wir müssen weg hier, ohne noch mal jemandem vor die Flinte zu laufen!«
    Sie nickte mit solchem Nachdruck, dass Rothschild spürte, wie ihm eine dünne Schweißbahn zwischen den Schulterblättern abwärts rann. Irgendetwas an ihr… flößte ihm Unbehagen ein. Er gab sich einen Ruck. »Du bleibst immer dicht neben oder hinter mir, niemals vor mir, verstanden? Ich bestimme, wo's lang geht.«
    »Natürlich. Ich heiße übrigens Gwaysi.« Sie sah ihn aus großen Augen an, ohne zu erkennen zu geben, ob sie sich lustig über ihn machte oder das eben ihre Art war, Respekt auszudrücken.
    »Gwaysi.« Rothschild betonte den Namen wie einen neu erlernten Fluch. Dann hastete er los. Das Mädchen folgte ihm wie sein Schatten.
    ***
    Im Morgengrauen, als sie endlich eine Pause einlegten, fragte sich Rothschild, wie es hatte geschehen können, dass sie ihren Häschern - Dutzenden zuletzt - entkommen waren. Sie hatten mehr Glück als Verstand gehabt. Mehr als einmal waren sie ihren Verfolgern fast in die Arme gelaufen. Ganz Ayr war in Aufruhr gewesen. Fanfarenstöße aus Angus Corrs Festung hatten nicht nur die Leibwache des Stadtoberen auf den Plan gerufen, sondern auch die Bewohner der

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