259 - Die Stunde der Wahrheit
Sie stiegen durch das Wasser auf, hin zum Tunnel, der aus der Stadt führte.
»Ja.« Ihre Stimme klang ehrlich, erfüllt von Trauer. Sie hatte den Helm abgenommen. Die Qualle war mit Atemluft gefüllt. Vogler berührte ihre blasse Wange mit der roten Pigmentierung darauf. »Ich auch. Wir haben viele Wunder gesehen.«
Yann lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Ich will endlich wieder Erde sehen. Bäume. Tiere ohne Flossen. Und Keetje.« Er fuhr sich über die grauen Haare, die durch die Bestrahlung merklich dünner geworden, aber nicht allesamt ausgefallen waren. Seine Finger fuhren über kurze Stoppeln, die bereits nachwuchsen. Vogler musste bei dieser Geste lächeln.
Yann war dem Tod erneut von der Schippe gesprungen , wie Matthew Drax sagen würde. Die Quantas-Kugel in seinem Gehirn würde über mehrere Jahre hinweg aktiv bleiben, ehe sie sich nach und nach in ungefährliche Bestandteile auflöste. In dieser Zeit würde sie jede neue Wucherung des Tumors im Keim ersticken. Yann hatte gute Chancen, nie mehr von seiner Krankheit behelligt zu werden.
Voglers Hand ließ die von Clarice nicht los. »Denkst du, du kannst dich auf dem Mars wieder wohl fühlen?«
Clarice hatte den Mars damals auch verlassen, weil sie den Tod ihres Bruders Roy nicht verarbeiten konnte.
Die Marsianerin nickte. »Ich denke schon. Ich freue mich schon darauf, den anderen unsere Forschungsergebnisse zu bringen. Sie werden Augen machen.«
Quart'ol drehte sich vom Leitstand her zu ihnen um. An einem blinkenden Leuchtmikrobenfeld über seinem Kopf erkannte Vogler, dass er die Qualle auf Automatik umgestellt hatte.
»Dazu habe ich noch eine Bitte, die mir und Pozai'don auf den Herzen liegt: Schwört mir alle drei, die Geheimnisse der Hydriten zu bewahren. Gebt eurem Volk nur das Wissen, das uns nicht schaden kann. Seid in allem, was ihr in dieser Richtung unternehmt, sehr vorsichtig und wachsam.«
»Das schwöre ich«, sagte Vogler feierlich.
Yann und Clarice taten es ihm nach. Quart'ol drehte sich zufrieden wieder zum Leitstand um. »Dann also nach oben. Bringen wir euch nach Hause.«
Vogler sah Clarice an. Er fühlte einen tiefen Frieden in sich. Ganz gleich, was die Zukunft bringen mochte, er würde sich der Herausforderung stellen.
Seine Hand wanderte wieder über den implantierten Peilsender. »Auf zum Mond«, flüsterte er. Ein letztes Mal sah er auf Gilam'esh'gad zurück. Die Umrisse der Häuser hoben sich klar im Wasser ab. Vielleicht würde er eines Tages wiederkehren. Vielleicht auch niemals. Doch die Erinnerungen konnte ihm niemand rauben.
Seine Finger rutschten an seinem Arm hinab, berührten das muschel- und perlenbesetzte Messer von Dra'nis. In Gedanken sagte er ein letztes Mal Lebewohl. Dann lächelte er, während Quart'ol die Qualle in den Tunnel lenkte. Keine zehn Minuten später hatten sie den Ausgang erreicht und ließen die Stadt hinter sich.
EPILOG
Südpol, 8 Wochen später
Die sieben Hydriten stapften im Gänsemarsch über die Eisfläche. Schnee trieb ihnen entgegen. Sie hatten sich die Füße entgegen ihrer Art mit tierischen Pelzen umschlungen und waren in Felle gehüllt. Eine Sonderausstattung für die Mission im Auftrag des HydRats. Trotzdem froren sie erbärmlich. Ihre Lungen schmerzten von der Kälte und der ungewohnten Anstrengung. Sie alle wollten zurück ins Meer, hin zu wärmeren Gewässern.
Aber ihr Auftrag war eindeutig und musste erfüllt werden. Kal'rag selbst hatte ihn erteilt, nachdem ihm die Berichte von Gilam'esh und Quart'ol vorgelegen hatten. Berichte über eine Superwaffe, die aus der martialischen Vergangenheit der Hydriten stammte und hier am Südpol verborgen liegen sollte: der Flächenräumer.
Jar'nar, die Anführerin des Trupps, schlang den Robbenfellmantel noch enger um ihre Schuppenhaut. Ihr Wille trieb sie voran, während ihre Gedanken bei ihrem Volk weilten.
Die letzten Wochen waren aufregend gewesen. Der Prophet Gilam'esh, wiederauferstanden aus einem rätselhaften Zeitstrahl, war nach Hykton gekommen, gemeinsam mit den Quan'rill E'fah und Quart'ol.
Der Wissenschaftler Quart'ol hatte seine Unschuld mit Hilfe der Ratsherrin Ner'je bewiesen. Der Gilam'esh-Bund selbst hatte die Mordanklage als Komplott zugegeben. Außerdem hatte der Bund weitere Verbrechen gestanden und eine Namensliste von Hydriten herausgegeben, die daran beteiligt gewesen waren. Sie alle hatten sich lossagen müssen. Einige hatte man inhaftiert. Der Bund selbst blieb vorerst in Gilam'esh'gad unter
Weitere Kostenlose Bücher