26 - Die Sklavenkarawane
einen leichtgläubigen Menschen erklärst, welchem Allah den Verstand versagt hat, so werde ich für dich ein Abu sitta miah, ein Vater der Sechshundert sein. Schafft ihn hinaus in den Hof und gebt ihm die sechshundert auf den Rücken!“
„Das wage nicht!“ schrie der Scheik auf. „Sechshundert kann kein Mensch aushalten. Du würdest mich töten. Denke an die Blutrache! Die Krieger meines Stammes würden die Schmach mit deinem Leben sühnen!“
„So mögen Sie vorher erfahren, daß ich auch Abu sabah miah, der ‚Vater der Siebenhundert‘ sein kann. Gebt ihm also siebenhundert, und für jedes Wort, welches er noch spricht, soll er einhundert mehr bekommen!“
Das war in einem so bestimmten Ton gesprochen, daß der Scheik den Mund nicht wieder zu öffnen wagte. Er wurde von den Kawassen fortgeschafft, und bald hörte man sein Geschrei erschallen.
„Hört ihr ihn?“ rief der Mudir den Homr zu. „Wenn er es überlebt, so mag er zum Pascha gehen und mich verklagen! Ich werde dafür sorgen, daß im Bereich meiner Macht ein jeder ungefährdet seinen Weg verfolgen kann. Menschen, wie ihr seid, achte ich den Raubtieren gleich, welche ausgerottet werden müssen. Wer mich belügt oder mir gar droht, dem wird die Peitsche zeigen, daß ich sogar ein Abu alfah, ein ‚Vater der Tausend‘ sein kann. Also sage du mir, ob ihr den Effendi habt töten wollen?“
Er zeigte auf denjenigen Homr, welcher ihm am nächsten kauerte.
„Ja“, gestand der eingeschüchterte Mann.
„Und du?“ fragte er einen zweiten.
„Ja“, antwortete auch dieser.
Ebenso gestanden die anderen ihr Verbrechen ein. Sie erkannten, daß sie durch Leugnen ihre Lage nur verschlimmern würden. Sie wären am liebsten über den Mudir hergefallen; sie konnten trotz aller Mühe den Grimm, welcher sie beherrschte, nicht ganz verbergen.
„Da ihr es gesteht, möchte ich euch ein gnädiger Richter sein“, sagte der Mudir. „Aber ihr legt dieses Geständnis nicht aus Reue, sondern vor Angst ab, und auf euern Gesichtern sehe ich den Haß und die Rache wohnen. Ihr sollt nicht mehr und nicht weniger bekommen, als der Name besagt, den man mir gegeben hat. Fünfhundert werden genügen, euch zu belehren, daß es gegen das Gesetz des Propheten und die Satzung seiner heiligen Nachfolger ist, einen Mann zu ermorden, welcher sich vertrauensvoll in euren Schutz gegeben hatte. Nur dieser Verwundete soll für heute verschont werden. Er mag im Sidschnah (Gefängnis) liegen, bis sein Bein geheilt ist; dann soll, wenn er es erlebt, das gleiche Urteil an ihm vollstreckt werden. Das Gericht ist beendet. Ich habe nach Recht und Gerechtigkeit gesprochen. Allah ist mit allen Gläubigen, welche seine Gesetze befolgen; die Missetäter aber wird er mit seinem Zorn vernichten!“
Er erhob sich von seinem Sitz, zum Zeichen, daß die Gerichtsverhandlung zu Ende sei, und die Offiziere taten dasselbe. Sie entfernten sich, indem sie mit tiefen Verbeugungen Abschied nahmen, und dann erlaubte der Mudir den Dschellabi, die Homr in den Hof zu schaffen und dort Zeugen der Exekution zu sein. Als dann Schwarz sich wieder allein mit ihm befand, fragte der Beamte: „Dir ist Gerechtigkeit geworden. Wäre das in deinem Land ebenso schnell geschehen?“
„Das Urteil wäre allerdings später gefällt worden, da man den Fall eingehender untersucht hätte.“
„Was sollte das nützen? Man hätte sich doch jedenfalls überzeugt, daß die Homr schuldig sind?“
„Allerdings.“
„Nun, soweit bin ich viel schneller gekommen. Welche Strafe hätte sie nach euern Gesetzen getroffen?“
„Eine vieljährige Gefangenschaft.“
„Auch da bin ich kürzer. Die Schuldigen erhalten ihre Hiebe und können dann gehen.“
„Für Raubmörder ist diese Strafe außerordentlich milde, nämlich wenn sie die Schläge aushalten.“
Über das Gesicht des Mudir ging ein vielsagendes Lächeln, als er antwortete: „Ob mein Urteil zu hart oder zu milde ist, das ist Allahs Sache. Er hat dem Verbrecher Glieder gegeben, welche es entweder aushalten oder nicht. Auch bei euch kommt es auf die Gesundheit und Stärke an, ob der Verbrecher die lange Gefangenschaft überwindet oder nicht. Mach dir keine Sorge um die Homr! Ihr Leben ist im Buch verzeichnet; ich kann es ihnen weder nehmen noch erhalten. Erlaube mir, dich zu dem Boten deines Bruders und dann in die Gemächer zu führen, welche für dich bestimmt worden sind.“
Das war dem Deutschen lieb, denn der Aufenthalt in dem Selamlik war jetzt kein
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