263 - Von Menschen und Echsen
vorgestellt hatte, und wenn ihn seine Ahnung nicht trog, dann zeigten insbesondere Frauen völlig widersinnige Verhaltensweisen, während Männer wesentlich einfacher konstruiert waren.
»Würdest du mir trotz allem erlauben, noch eine Weile in deiner Hütte zu bleiben?«, fragte Grao mit aller gebotenen Vorsicht.
»Ja«, hauchte Bahafaa. »Ich habe keine Ahnung, warum ich so dumm bin, aber ich möchte, dass du mir Gesellschaft leistest.«
***
Man akzeptierte Grao als »den Verrückten, der bei der Verrückten lebte«. Unter anderen Umständen hätte man ihm und seinem Verhalten womöglich mehr Misstrauen entgegen gebracht. Doch Hermon beherrschte trotz seiner Abwesenheit das Tagesgeschehen. Es verging kaum ein Tag, da nicht Gerüchte über seine Rückkehr in die Welt gesetzt wurden oder dass zwei Frauen um das Privileg stritten, die erste Nacht mit dem Händler verbringen zu dürfen.
Unter diesen sonderbaren Umständen gelang es Grao, Fragen über Aruula und Maddrax zu stellen, ohne sonderliches Aufsehen zu erregen.
Die Antworten waren enttäuschend. Der Name der Frau besaß nach wie vor einen guten Klang, doch sie hatte sich seit Jahren - genauer: seit dem Krieg am Kratersee - nicht mehr auf den Inseln blicken lassen. Auch wussten die Kriegerinnen nichts über ihren Verbleib.
Grao überlegte, ob er tatsächlich darauf warten sollte, dass die beiden sich irgendwann Aruulas alter Heimat besannen und hier auftauchten, oder ob er nicht besser seine Zelte abbrach und mit Thgáans Hilfe andere Teile der Erde nach ihnen absuchte.
Und ob es nicht besser wäre, zuvor die Primärrassenvertreter auf den Dreizehn Inseln zu töten, damit sie Mefju'drex keine Hinweise auf einen Barbaren geben konnten, der nach ihm suchte. Er allein konnte diese Aufgabe kaum bewältigen, aber dem Lesh'iye würden die Kriegerinnen kaum Widerstand leisten. Grao konnte ihn wüten lassen und in aller Ruhe abwarten, bis der Todesrochen seine Arbeit erledigt hatte.
Letztendlich verzichtete er darauf. Es war der Mühe nicht wert, die Frauen und Männer dieses nahezu endemischen Menschen-Biotops zu vernichten.
Nonsens! Warum belog er sich selbst? Er würde sie nicht töten, weil er sie akzeptierte . Die Zeit bei ihnen ließen ihn Stolz, Gleichmut, Hingabe, Zähigkeit, kurzum: ihre Lebensart verstehen. Sie waren keine Feinde mehr.
»Du gehst weg?«, fragte Bahafaa ruhig.
»Woher weißt du…?«
»Da ist so ein merkwürdiges Glitzern in deinen Augen«, unterbrach sie ihn. »Ein Zeichen der Unruhe und der Unzufriedenheit.«
»Es hat nichts mit dir zu tun. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen.«
»Du läufst jemandem hinterher, stimmt's?«
War er denn wirklich so leicht zu durchschauen? Wie kam es, dass Bahafaa ein derartiges Feingefühl für seine Ziele und sein Verhalten besaß?
»Ja. Ich muss jemanden finden.«
»Aruula und Maddrax. Du hast dich nach ihnen erkundigt. - Sieh mich nicht so an, Groom! Meinst du denn, ich sei blind und taub?«
»Und wenn es so wäre?«, fragte Grao vorsichtig. Er überlegte, wie er die Frau neutralisieren und ihren Leichnam möglichst unauffällig verschwinden lassen könnte.
Sie streichelte ihm sanft übers bärtige Gesicht. »Was auch immer du vorhast - du musst es mit deinem Gewissen vereinbaren. Niemand außer dir selbst kann dich von deinen Plänen abbringen.«
»Und wenn ich vorhätte, die beiden zu töten?«
»Für eine solche Tat müsste es triftige Gründe geben. Ein Menschenleben ist zu kostbar, um es zum Beispiel aus Rachsucht oder wegen einer enttäuschten Liebe zu nehmen.«
»Du kennst meine Vergangenheit nicht…«
»Zählt die Gegenwart nicht viel mehr?«, erwiderte sie. »Wie ich sehe, lebst du in Freiheit und bist dein eigener Herr. Dir stehen alle Möglichkeiten offen, dein Leben nach deinem eigenen Willen zu gestalten. Ganz im Gegensatz zu mir.«
»Deine Situation ist eine ganz andere…«
»Möchtest du mit mir tauschen? Möchtest du einen Tag lang meinen Platz einnehmen und erleben, wie es ist, wenn man von jedermann geächtet wird? Wenn man keine Freunde besitzt, keine Liebe kennen lernen darf und es keinerlei Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt?«
Grao schwieg und dachte nach. Die argumentative Linie der Menschenfrau irritierte ihn einmal mehr. Sie zog Fakten aus allen Bereichen ihrer Lebenserfahrungen zusammen und vermengte sie zu einem Knäuel an Eindrücken, das er nicht entwirren konnte.
»Ich möchte nicht mit dir tauschen«, befand er schließlich. »Ich bin zufrieden
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