266 - Das Todesschiff
schwere Kiste über die Galerie.
Im nächsten Moment verdunkelte sich das Portal und er hörte Friedrichsen rufen: »Alles in Ordnung, Herr Leutnant?« Er ragte wie ein drohender Schatten zwischen den glotzenden Sturmmännern auf. »Brauchen Sie meine Hilfe?«
»Nein, nein«, rief Hasso. »Der Fall ist geklärt.«
»Wer ist das?«, fragte Holtz. »Ihr Fahrer?«
»Bootsmann Friedrichsen. Eine ehrliche Haut. Wir haben einen Marschbefehl nach Gotenhafen.« Hasso räusperte sich. »Ich wollte nur schnell mal reinschauen und einige persönliche Dinge holen.« Wieder dachte er an sein Tagebuch. Hoffentlich hatte es noch niemand gefunden.
Holtz' Stirn runzelte sich. »Gotenhafen? Da sind Sie aber 'n ganzes Stück vom Kurs abgekommen…«
Scheiße , dachte Hasso. Das Letzte, was wir jetzt noch brauchen, ist der Vorwurf, dass wir desertieren wollten.
Aber glücklicherweise gingen Holtz' Überlegungen in eine ganz andere Richtung. »Sie schickt der Himmel, von Traven« , sagte er und deutete zur Treppe hin, auf der sich die Seesäcke, Kartons und Kisten stapelten. »Ich habe uns schon den ganzen Kram zum Flugzeug schleppen sehen.«
Hasso atmete auf. »Verfügen Sie über unser Fahrzeug.« Er winkte Friedrichsen zu. »Kommen Sie mal her. Die Herren von der anderen Feldpostnummer brauchen unsere Hilfe.«
Friedrichsen trat in die halbdunkle Halle. Holz verdeutlichte dem Bootsmann sein Verlangen. Der salutierte, knallte die Hacken zusammen und ging hinaus. Die Sturmmänner folgten ihm.
Einer der Männer, die auf der Galeriedie schwere Kiste schleppten, rief plötzlich: »Vorsicht, Hannes; ich rutsch ab…!«
Hasso, Holtz und Schröder fuhren herum. Die beiden Sturmmänner waren schon auf der Treppe. Hannes stieß eine Verwünschung aus und sprang zurück. Die Kiste entglitt den Händen seines Kameraden und schlug auf Hannes' Füße, die aber in dicken Stiefeln steckten, sodass sich die Lautstärke seines Aufschreis in Grenzen hielt.
Die Kiste knallte auf die Stufen und geriet auf dem glatten Marmoruntergrund ins Rutschen. Hannes sprang beiseite, verlor das Gleichgewicht und taumelte rückwärts an das steinerne Treppengeländer.
Schröder und Glitsch hechteten der rutschenden Kiste pflichtbewusst entgegen, zuckten aber zurück, als Holtz brüllte: »Weg da, ihr Pfeifen! Die erschlägt euch!«
Die Kiste polterte weiter abwärts, verkantete sich an den Stufen, überschlug sich, verlor den Deckel und kippte ihren Inhalt - einen Haufen Holzwolle und einen menschenkopf großen Gesteinsbrocken - direkt vor Hasso von Travens Füße.
»Was, um alles in der Welt…?« Hasso beugte sich vor. Ein undefinierbarer, penetranter Gestank drang in seine Nase. Der Brocken war von rotbrauner Farbe, halb durchsichtig und wies einen dunkelroten Kern auf, der auf unheimliche Weise an ein pulsierendes Herz erinnerte.
Hasso kniff die Augen zusammen. Was war das? Der Geruch erinnerte an eine chinesische Leckerei namens »Tausendjährige Eier«. An der Oberfläche des Brockens hatte ein von nationalsozialistischer Ordnung beseelter Geist eine relativ glatte Fläche von der Größe einer Hand mit einer Gravur versehen:
GEHEIME REICHSSACHE
MYSTERIUM NO. 471
FUNDORT: RAFFINERIE BATUMI, RUMÄNIEN
EIGENTÜMER: REICHSSICHERHEITSHAUPTAMT BERLIN
GROSSDEUTSCHES REICH
»Verpacken, aber zügig«, schnauzte Hauptsturmführer Holtz. Hannes und sein Kamerad waren im Nu bei Fuß und wuchteten den Gegenstand zurück. Dass sie sich dabei fast einen Bruch hoben, verblüffe Hasso. War das Ding etwa aus Blei? Und was war das für ein pulsierender roter Punkt in der Mitte?
Nachdem die SS-Männer die Kiste wieder mit dem Deckel verschlossen hatten, trugen sie sie zum Portal hinaus.
Hauptsturmführer Holtz gab Schröder einen Wink, der diesen die Treppe hinauf eilen und im Halbdunkel verschwinden ließ.
Dann wandte sich Holtz an Hasso. »Kommen Sie.« Er deutete mit dem Kinn auf die Tür, die in die Bibliothek führte. »Ich sehe Ihnen an, dass ich Ihnen einiges erklären muss.«
Er ging voraus, Hasso folgte ihm.
Die Bibliothek war so kalt wie die Halle, doch die Perser am Boden und die Ledersofas und Sessel, die sich um den Kamin gruppierten, machten die Atmosphäre etwas weniger ungemütlich. Durch die vergitterten Fenster fiel schwaches graues Licht herein. Hasso hörte erneut das Knurren seines Magens.
Holtz, der sich aus einer Packung Orienta bediente, sagte: »Ihnen hängt der Magen wohl auch in den Kniekehlen. Ich schlage vor, wir gehen
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