266 - Das Todesschiff
Pistole, die er umklammert hielt, entfiel seiner Hand und fiel scheppernd auf den Marmor.
Hasso sah die erschreckt aufgerissenen Augen und rötlichblonden Wimpern eines etwa zwanzigjährigen Untersturmführers. Er versetzte ihm einen Haken, der sich gewaschen hatte. Der SS-Mann verlor das Gleichgewicht und segelte mit einem Schrei auf den Lippen nach hinten.
Vom Portal her hörte Hasso Flüche und das metallische Klacken von Gewehren, die entsichert wurden. Glitsch, der mit wehendem Mantel über die Marmorplatten fegte, wedelte aufgeregt mit seiner Nullacht und schrie: »Nicht schießen, es ist der Leutnant!« Einen Sekundenbruchteil erwog Hasso, sich zu bücken, um die entfallene Waffe des Untersturmführers an sich zu nehmen. Aber Glitsch war schon zu nahe, darum entschied er sich anders: Er sprang auf den Scharführer zu und erwischte ihn an der Krawatte. Ehe der SS-Mann sich versah, krachte ihm eine Faust ins Gesicht.
Glitschs Knie gaben nach, während Blut aus seiner Nase schoss. Während er fassungslos auf den Boden der Eingangshalle sank, näherte sich in Hassos Rücken mit hämmernden Schritten schwerer Stiefel die nächste Gefahr. In dem Bewusstsein, dass er es nun mit den beiden Sturmmännern vom Hauptportal zu tun bekäme, fuhr er herum.
Im nächsten Moment spürte er den stählernen Lauf einer Nullacht an seinem Hals und verharrte in der Bewegung.
Der ihm gegenüberstehende Mann war groß, hager, blond, etwa sechs oder sieben Jahre älter als er und trug die Dienstmütze eines Hauptsturmführers. Seine Augen waren graublau, seine Lippen schmal. Dass seine Augen zornig funkelten, konnte Hasso verstehen, denn auch er hätte es nicht gern gesehen, wenn jemand seine Leute beschädigte.
Im Hintergrund rappelte sich der Sturmführer auf und hielt leise stöhnend und fluchend Ausschau nach seiner Waffe. Glitsch sagte kein Wort, obwohl seine Nase heftig blutete.
»Gehen Sie rauf zum Sani, Glitsch«, fauchte der Hauptsturmführer. »Aber 'n bissken plötzlich!« Seiner Aussprache nach kam er, wie Bootsmann Friedrichsen, aus dem Ruhrgebiet.
»Jawoll, Herr Hauptsturmführer.« Glitsch lief die Treppe hinauf und verschwand im Dunkel der Galerie. Der Sturmführer hatte seine Pistole nun gefunden. Er steckte sie ein und kam näher.
»Wie ist die Lage, Schröder?«, fragte der Hauptsturmführer, von dem Hasso annahm, dass er Holtz hieß. »Sind Sie reif fürs Lazarett oder können Sie Ihrer Arbeit weiter nachgehen?« Er klang ungehalten. Vermutlich kochte er vor Wut.
»Es geht mir gut, Herr Hauptsturmführer.« Schröder maß Hasso mit einem hasserfüllten Blick. »Es würde mir noch besser gehen, wenn Sie so freundlich wären, mich fünf Minuten mit diesem verfluchten Hundesohn allein zu lassen.«
»Das würde Sie vors Kriegsgericht bringen, Schröder«, sagte Holtz. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. »Der verfluchte Hundesohn ist ein Leutnant zur See.« Er nahm die Mündung der Nullacht von Hassos Hals und steckte sie ein. Hasso atmete auf. »Ich nehme an, Schröder«, sagte Holtz, »dass Sie es im Dunkeln nicht gesehen haben.«
»Gütiger Himmel, nein…« Schröder trat vor. Sein Gesicht verzog sich in der Erkenntnis, dass ein Leutnant zur See den Rang eines Hauptmanns bekleidete, während ein Untersturmführer nur ein Leutnant war. »Ich…«
»Entschuldigen Sie sich nicht«, sagte Holtz lapidar. »Wenn der Leutnant Sie zur Schnecke macht, tragen Sie es wie ein Mann.«
»Jawoll, Herr Hauptsturmführer«, sagte Schröder und knallte die Hacken zusammen.
»Das ist Untersturmführer Schröder.« Holtz deutete mit dem Kopf auf ihn. »Mein Name ist Holtz.«
»Hasso von Traven.« Hasso deutete eine Verbeugung an, denn ihm war nicht daran gelegen, Holtz gegen sich aufzubringen. »Dies ist das Anwesen meiner Familie. Was machen Sie hier, wenn ich fragen darf?«
»Wir räumen ein bisschen aus - im Auftrag des Hausherrn.« Holtz' Blick wanderte interessiert über Hassos Gesichtszüge. »Professor von Traven und seine Gattin mussten bei Nacht und Nebel evakuiert werden, deswegen konnten sie einige Dinge nicht mitnehmen, die ihnen sehr am Herzen liegen. Der Herr Professor ist Ihr Vater, nicht wahr? Wer einen wachen Blick hat, kann es sehen.«
»Sie kennen ihn?«
»Ich kenne nur sein Porträt. Es hängt da oben irgendwo.«
Hasso schaute zur Galerie hinauf. Er hatte Schritte gehört. Am anderen Ende der Halle kamen zwei Kerle in SS-Uniform aus dem Labor seines Vaters. Sie schleppten ächzend eine
Weitere Kostenlose Bücher