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sehr verändert, sagte sie. Amalfitano erkannte sie sofort. Du dich nicht, sagte er. Danke, sagte sie. Dann stand Amalfitano auf, und sie gingen.
Amalfitano wohnte damals in Sant Cugat und unterrichtete Philosophie an der nicht allzu weit entfernten Universidad Autónoma von Barcelona. Rosa besuchte die örtliche Grundschule, verließ morgens um halb neun das Haus und kam nicht vor siebzehn Uhr zurück. Lola sah Rosa und sagte, sie sei ihre Mutter. Rosa stieß einen Schrei aus, stürzte in ihre Arme, riss sich sofort wieder los und verkroch sich in ihrem Zimmer. Später am Abend, nachdem sie geduscht und sich ein Bett auf dem Sofa zurechtgemacht hatte, sagte Lola zu Amalfitano, sie sei sehr krank und werde wahrscheinlich bald sterben und habe Rosa ein letztes Mal sehen wollen. Amalfitano bot ihr an, mit ihr in die Klinik zu fahren, was Lola mit der Bemerkung ablehnte, die französischen Ärzte seien schon immer besser gewesen als die spanischen, wobei sie einige Papiere aus der Tasche zog, die zweifelsfrei und auf Französisch bestätigten, dass sie Aids hatte. Als Amalfitano am nächsten Tag von der Universität zurückkam, sah er Lola und Rosa, die Hand in Hand durch die Straßen um den Bahnhof schlenderten. Er wollte sie nicht stören und folgte ihnen aus der Entfernung. Als er zur Tür hereinkam, saßen die beiden zusammen vor dem Fernseher. Später, als Rosa schon schlief, fragte er sie nach ihrem Sohn Benoit. Lola blieb stumm und erinnerte sich mit fotografischem Gedächtnis und in allen Einzelheiten an den Körper ihres Sohnes, an jede Miene, jeden Ausdruck des Erstaunens oder Schreckens, und sagte dann, Benoit sei ein intelligentes und sensibles Kind und habe als Erster gewusst, dass sie sterben werde. Amalfitano fragte sie, wer es ihm gesagt habe, obwohl er resigniert vermutete, die Antwort zu kennen. Er hat es ohne fremde Hilfe erfahren, sagte Lola, nur durch Beobachtung. Es ist schrecklich für ein Kind, zu wissen, dass seine Mutter sterben wird, sagte Amalfitano. Lügen ist schrecklicher, Kinder darf man niemals anlügen, sagte Lola. Am fünften Tag ihres Aufenthalts, als die aus Frankreich mitgebrachten Medikamente zur Neige gingen, sagte Lola ihnen am Morgen, dass sie fortmüsse. Benoit ist noch klein und braucht mich, sagte sie. Nein, eigentlich braucht er mich nicht, aber deswegen ist er trotzdem noch klein, sagte sie. Ich weiß nicht, wer wen braucht, sagte sie schließlich, auf jeden Fall muss ich sehen, wie es ihm geht. Amalfitano legte eine Nachricht für sie und einen Umschlag mit einem Großteil seiner Ersparnisse auf den Tisch. Als er von der Arbeit zurückkam, erwartete er, dass Lola schon fort war. Er holte Rosa von der Schule ab, und sie gingen zu Fuß nach Hause. Dort trafen sie Lola, die vor dem Fernseher ohne Ton saß und in ihrem Buch über Griechenland las. Sie aßen gemeinsam zu Abend. Gegen Mitternacht schlief Rosa ein. Amalfitano trug sie in ihr Zimmer, zog sie aus und deckte sie zu. Lola erwartete ihn im Wohnzimmer auf ihrem gepackten Koffer. Du bleibst besser über Nacht hier, sagte Amalfitano. Es ist zu spät, um zu gehen. Es fahren keine Züge mehr nach Barcelona, log er. Ich habe nicht vor, den Zug zu nehmen, sagte Lola. Ich werde trampen. Amalfitano senkte den Kopf und sagte, sie könne gehen, wann sie wolle. Lola gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging. Am nächsten Morgen stand er um sechs Uhr früh auf und schaltete das Radio ein, um sicher zu sein, dass auf den umliegenden Landstraßen keine Tramperin vergewaltigt und ermordet aufgefunden worden war. Alles friedlich.
Diese Vorstellung von Lola jedoch begleitete ihn viele Jahre, wie eine Erinnerung, die krachend aus dem Eismeer aufsteigt, obwohl er wirklich nichts gesehen hatte und also nichts erinnern konnte, nur den Schatten seiner Exfrau, den die Straßenlaternen auf die Häuserfassaden warfen, und dann den Traum: Lola, die auf einer der Ausfallstraßen von Sant Cugat davonging, auf dem Randstreifen der Straße, einer Straße, die wenig befahren war, da die Autos lieber Zeit sparten und den Weg über die gebührenpflichtige neue Autobahn nahmen, eine unter der Last ihres Koffers gebeugte, unerschrockene Frau, die auf dem Randstreifen der Straße unerschrocken ihres Weges ging.
Die Universität von Santa Teresa glich einem Friedhof, der plötzlich in haltloses Reflektieren verfällt. Und er glich einer leeren Diskothek.
Eines Nachmittags trat Amalfitano in den Hof, hemdsärmlig und wie ein Feudalherr, der ausreitet,
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