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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Liebschaften zu plaudern, während ihre Frauen - oder im Falle der Witwer ihre Haushälterinnen - vor dem Fernseher saßen oder das Essen kochten. Für Amalfitano stellte sich jedenfalls die Frage, wie das Buch in eine seiner Bücherkisten gelangen konnte. Eine halbe Stunde lang marterte er sein Hirn, während er zerstreut in Diestes Buch blätterte, und kam endlich zu dem Schluss, dass er es mit einem Rätsel zu tun hatte, das ihn momentan überforderte, doch gab er sich noch nicht geschlagen. Er fragte Rosa, die gerade im Bad stand und sich schminkte, ob das Buch ihr gehöre. Sie warf einen Blick darauf und verneinte. Amalfitano bat sie, es sich noch einmal genau anzuschauen und ihm mit Bestimmtheit zu sagen, ob es ihr gehöre oder nicht. Rosa fragte, ob es ihm nicht gut gehe. Es geht mir ausgezeichnet, sagte Amalfitano, aber dieses Buch gehört mir nicht, und es ist in einer der Bücherkisten aufgetaucht, die ich von Barcelona aus geschickt habe. Rosa erwiderte auf Katalanisch, er solle sich keine Sorgen machen, und schminkte sich weiter. Was heißt, ich soll mir keine Sorgen machen, sagte Amalfitano ebenfalls auf Katalanisch, wo ich anscheinend gerade mein Gedächtnis verliere. Rosa warf noch einmal einen Blick auf das Buch und sagte: Vielleicht ist es doch meins. Bist du sicher? fragte Amalfitano. Nein, es ist nicht meins, sagte Rosa, bestimmt nicht, ehrlich gesagt sehe ich es heute zum ersten Mal. Amalfitano ließ seine Tochter vor dem Badezimmerspiegel stehen und ging, das Buch noch immer in der Hand, zurück in den verwahrlosten Garten, in dem alles hellbraun war, als hätte sich die Wüste um sein neues Haus niedergelassen. Er überschlug im Geiste die möglichen Buchhandlungen, in denen er es gekauft haben könnte. Er suchte auf der ersten und der letzten Seite und auf der Seite links vom Titelblatt nach irgendeinem Vermerk und fand auf der ersten Seite den Adressaufkleber der Buchhandlung Follas Novas, S. L., Montero Ríoas 37, Tel. 981-59-44-06 und 981-59-44-18, Santiago. Selbstverständlich nicht Santiago de Chile, der einzige Ort auf der Welt, wo Amalfitano sich in einem Zustand totaler Katatonie vorzustellen vermochte, imstande, eine Buchhandlung zu betreten, irgendein Buch zu greifen, ohne es auch nur anzuschauen, es zu bezahlen und wieder zu gehen. Es handelte sich, ganz klar, um Santiago de Compostela in Galicien. Amalfitano dachte kurz an eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg. Er ging bis zum hinteren Ende des Hofes, wo sein Holzzaun auf eine Betonmauer traf, die das Nachbarhaus abschirmte. Er hatte nie auf sie geachtet. Glasscherbenbewehrte Mauerkronen, dachte er, die Angst der Eigentümer vor unerwünschten Besuchern. Die Nachmittagssonne brach sich in den Schnittkanten der Scherben, als Amalfitano den Gang durch seinen verwahrlosten Garten wiederaufnahm. Die Mauerkrone auf der anderen Seite war ebenfalls mit Scherben gespickt, hier überwog allerdings das grüne und braune Glas von Bier- und Schnapsflaschen. Noch nie, nicht einmal im Traum, war er in Santiago de Compostela gewesen, musste Amalfitano sich eingestehen, während er im Schatten der Mauer zur Linken stehenblieb. Aber das besagte im Grunde wenig oder nichts, einige der Buchhandlungen in Barcelona, die er frequentierte, besaßen einen Bücherfundus, den sie direkt bei anderen Buchhandlungen in Spanien kauften, Buchhandlungen, die ihre Bestände verkauften oder Konkurs machten oder die Doppelfunktion von Buchhandlung und Vertrieb erfüllten. Wahrscheinlich ist mir das Buch in Laie in die Hände geraten, dachte er, oder in La Central, wo ich ein Philosophiebuch kaufen wollte und wo mir der Verkäufer oder die Verkäuferin vor lauter Aufregung, dass in der Buchhandlung gerade Pere Gimferrer, Rodrigo Rey Rosa und Juan Villoro über Vor- und Nachteile des Fliegens diskutierten, über Flugzeugabstürze und darüber, ob der Start oder die Landung gefährlicher seien, irrtümlich dieses Buch in die Tüte gesteckt hat. La Central, möglich. Aber wenn es so gewesen wäre, hätte ich das zu Hause beim Auspacken der Tüte oder des Pakets, oder was es war, merken müssen, es sei denn, natürlich, mir ist auf dem Rückweg irgendetwas Furchtbares oder Entsetzliches passiert, das mir jede Lust oder Neugier genommen hat, mein neues Buch oder meine neuen Bücher genauer anzuschauen. Möglicherweise habe ich aber auch das Paket wie ein Zombie geöffnet, das neue Buch auf den Nachttisch gelegt und das Buch von Dieste ins Bücherregal gestellt, noch ganz

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