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verrät uns? Die Liebe verrät uns? Der Mut verrät uns? Die Kunst verrät uns? Ja, doch, sagte die Stimme, das alles verrät uns, oder vielmehr es verrät dich, was nicht dasselbe ist, aber in diesem Fall ist es dasselbe, alles außer der Ruhe, nur die Ruhe verrät uns nicht, was jedoch, wenn ich dir das gestehen darf, keine hundertprozentige Garantie ist. Nein, sagte Amalfitano, der Mut verrät uns niemals. Und die Liebe zu den Kindern auch nicht. Ach nein?, sagte die Stimme. Nein, sagte Amalfitano und fühlte sich plötzlich ganz ruhig.
Und dann fragte er im Flüsterton, in dem er schon die ganze Zeit gesprochen hatte, ob Ruhe in diesem Fall das Gegenteil von Wahnsinn bedeute. Und die Stimme sagte: Nein, durchaus nicht, wenn du Angst haben solltest, verrückt zu werden, kannst du beruhigt sein, du wirst nicht verrückt, du hältst nur ein unverbindliches Schwätzchen. Dann werde ich also nicht verrückt, sagte Amalfitano. Überhaupt nicht, sagte die Stimme. Und du bist mein Großvater, sagte Amalfitano. Dein Großpapa, sagte die Stimme. Und alles verrät uns, Neugier, Ehrlichkeit und das, was wir lieben. Ja, sagte die Stimme, aber tröste dich, eigentlich ist es ganz lustig.
Es gibt keine Freundschaft, sagte die Stimme, keine Liebe, keine Epik, keine lyrische Dichtung, die etwas anderes wäre als das Brabbeln oder Brummeln von Egoisten, das Zwitschern von Schwindlern, Brausen von Verrätern, Blubbern von Emporkömmlingen oder Trällern von Tunten. Was hast du bloß gegen Homosexuelle?, flüsterte Amalfitano. Nichts, sagte die Stimme. Ich spreche im übertragenen Sinne. Befinden wir uns nicht in Santa Teresa?, sagte die Stimme. Ist diese Stadt nicht ein Teil - und kein geringer Teil - des Bundesstaates Sonora? Ja, sagte Amalfitano. Na also, sagte die Stimme. Emporkömmling zu sein ist das eine, um nur dieses Beispiel herauszugreifen, sagte Amalfitano und raufte sich gleichsam in Zeitlupe die Haare, schwul zu sein etwas völlig anderes. Ich spreche im übertragenen Sinne, sagte die Stimme. Ich spreche so, dass du mich verstehst. Ich spreche, als befände ich mich, und du hinter mir, im Atelier eines ho-mo-se-xu-ellen Malers. Ich spreche von einem Atelier aus, in dem das Chaos nur die Maske ist oder ein leichter Betäubungsmittelgestank. Ich spreche von einem lichtlosen Atelier aus, wo der Nerv des Willens sich vom übrigen Körper löst, so wie die Zungenschlange sich vom Körper löst und selbstverstümmelt im Müll herumkriecht. Ich spreche von den einfachen Dingen des Lebens aus. Du lehrst Philosophie?, sagte die Stimme. Lehrst Wittgenstein?, sagte die Stimme. Und hast du dich gefragt, ob deine Hand eine Hand ist?, sagte die Stimme. Ich habe mich das gefragt, sagte Amalfitano. Aber jetzt hast du wichtigere Dinge, die du dich fragst, oder irre ich mich?, sagte die Stimme. Nein, sagte Amalfitano. Zum Beispiel: Warum nicht in eine Gartenhandlung gehen und Samen und Blumen und vielleicht sogar ein Bäumchen kaufen, um es in deinem Garten zu pflanzen?, sagte die Stimme. Ja, sagte Amalfitano. Ich habe an meinen möglichen und machbaren Garten gedacht und an die Pflanzen, die ich kaufen muss, und an das Werkzeug, um das alles zu erledigen. Und du hast auch an deine Tochter gedacht, sagte die Stimme, und an die Morde, die täglich in dieser Stadt begangen werden, und an Baudelaires schwule Wolken (entschuldige), aber du hast nicht ernsthaft darüber nachgedacht, ob deine Hand wirklich eine Hand ist. Das stimmt nicht, sagte Amalfitano, ich habe sehr wohl darüber nachgedacht. Wenn du das getan hättest, sagte die Stimme, sähe die Welt für dich jetzt anders aus. Und Amalfitano schwieg und fühlte, dass das Schweigen eine Art Eugenik war. Er schaute auf seine Uhr. Sie zeigte vier Uhr morgens. Er hörte, wie jemand einen Motor startete. Der Wagen fuhr aber nicht gleich los. Er stand auf und trat ans Fenster. In den Autos, die vor seinem Haus parkten, saß niemand. Er sah sich um und griff dann nach dem Fensterknauf. Die Stimme sagte: Vorsicht, sagte es aber so, als befände sie sich weit weg, am Grund einer Schlucht, in der vulkanische Gesteinsbrocken zutage traten, Rhyolithe, Andesite, Silberadern und Goldadern, versteinerte, von winzigen Eiern bedeckte Teiche, während am maulbeerfarbenen Himmel, maulbeerfarben wie die Haut einer totgeprügelten Indianerin, rotschwänzige Bussarde kreisten. Amalfitano ging hinaus auf die Veranda. Rund zehn Meter links von seinem Haus schaltete ein schwarzer Wagen die Scheinwerfer ein
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