2666
und rollte los. Als er am Vorgarten vorbeifuhr, beugte sich der Fahrer vor und sah zu Amalfitano herüber, ohne anzuhalten. Es war ein dicker Mann mit sehr schwarzem Haar, der einen billigen Anzug und keine Krawatte trug. Als er verschwunden war, kehrte Amalfitano ins Haus zurück. Üble Visage, sagte die Stimme, kaum dass er durch die Tür war. Und danach: Du musst aufpassen, Kumpel, mir scheint, die Dinge sind im roten Bereich.
Wer bist du eigentlich, und wie bist du hier hergekommen?, fragte Amalfitano. Es hat keinen Sinn, dir das zu erklären, sagte die Stimme. Es hat keinen Sinn?, sagte Amalfitano und lachte surrend wie eine Fliege. Es hat keinen Sinn, sagte die Stimme. Darf ich dich etwas fragen?, fragte Amalfitano. Nur zu, sagte die Stimme. Bist du wirklich der Geist meines Großvaters? Was du dir alles ausdenkst, sagte die Stimme. Natürlich nicht, ich bin der Geist deines Vaters. Der deines Großvaters hat dich vergessen. Aber ich bin dein Vater und werde dich niemals vergessen. Verstehst du das? Ja, sagte Amalfitano. Und dass du von mir nichts zu befürchten hast? Ja, sagte Amalfitano. Tu irgendetwas Nützliches, und dann schau nach, ob alle Türen und Fenster fest verschlossen sind, und geh schlafen. Was denn Nützliches?, fragte Amalfitano. Du könntest die Teller abwaschen, sagte die Stimme. Amalfitano steckte sich eine Zigarette an und tat, was die Stimme ihm geraten hatte. Du wäschst ab und ich rede, sagte die Stimme. Alles ganz ruhig, sagte die Stimme. Es herrscht keinerlei Feindseligkeit zwischen dir und mir, die Kopfschmerzen, wenn du welche hast, das Summen in den Ohren, der beschleunigte Puls, das Herzrasen gehen bald vorüber, sagte die Stimme. Du wirst dich beruhigen, wirst nachdenken und dich beruhigen, sagte die Stimme, während du etwas Nützliches tust, für deine Tochter und für dich. Verstanden, flüsterte Amalfitano. Gut, sagte die Stimme, das ist wie eine Endoskopie, aber schmerzlos. Verstanden, flüsterte Amalfitano. Und säuberte die Teller und den Topf mit Resten von Nudeln und Tomatensoße und die Gabeln und die Gläser und die Küche und den Tisch, an dem sie gegessen hatten, wobei er eine Zigarette nach der anderen rauchte und ab und zu kleine Schlucke Wasser direkt aus dem Hahn trank. Und um fünf Uhr morgens holte er die schmutzige Wäsche aus dem Korb im Bad, ging hinaus in den hinteren Garten, stopfte die Wäsche in die Waschmaschine, stellte das Standardprogramm ein, betrachtete das Buch von Dieste, das unbeweglich dahing, kehrte dann ins Haus zurück, wo seine Augen wie die eines Süchtigen nach weiteren Dingen suchten, die er saubermachen, aufräumen oder waschen konnte; er fand aber nichts und sank auf einen Stuhl und flüsterte ja oder nein oder ich erinnere mich nicht oder kann sein. Alles in bester Ordnung, sagte die Stimme. Alles eine Frage der Zeit, bis du dich daran gewöhnt hast. Ohne Geschrei. Ohne dass dir der Schweiß ausbricht oder der Schreck in die Glieder fahrt.
Es war schon nach sechs, als Amalfitano sich angezogen aufs Bett warf und einschlief wie ein kleines Kind. Um neun weckte ihn Rosa. Lange hatte sich Amalfitano nicht mehr so gut gefühlt, obwohl die Seminare, die er gab, für seine Studenten völlig unverständlich waren. Um eins aß er in der Institutsmensa, wo er sich an einen der abgelegenen und schwer einsehbaren Tische setzte. Er wollte Frau Professor Pérez nicht sehen und auch den anderen Kollegen nicht begegnen, am wenigsten dem Dekan, der die Angewohnheit besaß, im Kreis von Professoren und einigen Studenten, die ihm unablässig um den Bart gingen, täglich hier zu Mittag zu essen. Fast verstohlen bestellte er an der Theke gekochtes Hühnchen und Salat und eilte hastig zu seinem Tisch und wich den Studenten aus, die um diese Zeit die Kantine füllten. Dann widmete er sich seinem Essen und ließ die Vorgänge der vergangenen Nacht Revue passieren. Erstaunt stellte er fest, dass seine gestrigen Erlebnisse bei ihm ein Gefühl der Begeisterung hinterließen. Ich fühle mich wie eine Nachtigall, dachte er gutgelaunt. Eine einfältige, eine abgegriffene, eine lächerliche Formulierung, aber die einzige, die auf seinen derzeitigen Geisteszustand zutraf. Er versuchte sich zu beruhigen. Das Gelächter der jungen Leute, ihr lautes Rufen und das Geklapper der Teller machten die Mensa nicht gerade zu einem idealen Ort zum Nachdenken. Trotzdem stellte er nach wenigen Sekunden fest, dass es keinen besseren Ort gab. Einen gleich guten ja, einen besseren
Weitere Kostenlose Bücher