2666
Frage nicht. Rosa Amalfitano lächelte. Ihr Lächeln war das einer Göttin, fand Fate. Das Bier schmeckte ihm nicht, zunehmend bitter und lauwarm. Er war versucht, sie um einen Schluck aus ihrem Becher zu bitten, aber er wusste gleich, dass er so etwas niemals tun würde.
»Sehr oder übermäßig? Wie lautet die richtige Antwort?«
»Zu sehr, glaube ich«, sagte Rosa Amalfitano.
»Dann also übermäßig«, sagte Fate.
»Warst du schon bei den Stierkämpfen?«, fragte Rosa Méndez.
»Nein«, sagte Fate.
»Und beim Fußball? Und beim Baseball? Hast du schon unsere Basketballmannschaft spielen sehen?«
»Deine Freundin interessiert sich sehr für Sport«, sagte Fate.
»Nicht besonders«, sagte Rosa Amalfitano, »sie will dir bloß ein bisschen Konversation bieten.«
Das ist bloß Konversation?, dachte Fate. Na gut, sie will bloß dämlich oder natürlich wirken. Nein, sie will bloß nett sein, dachte er, ahnte aber, dass es um mehr ging.
»Ich habe nichts dergleichen getan«, sagte Fate. »Bist du kein Sportreporter?«, sagte Rosa.
Aha, dachte Fate, sie will weder dämlich oder natürlich wirken, sie will nicht einmal nett sein, sie denkt, ich sei Sportreporter und interessiere mich daher für solche Veranstaltungen. »Ich bin ein außerplanmäßiger Sportreporter«, sagte Fate und erzählte den beiden Rosas und Charly Cruz die Geschichte von dem planmäßigen Sportkorrespondenten und seinem Tod, und wie man ihm die Berichterstattung vom Kampf Pickett gegen Fernandez übertragen hatte.
»Und worüber schreibst du sonst?«, fragte Charly Cruz.
»Über Politik«, sagte Fate. »Über politische Themen, die das afroamerikanische Amerika betreffen. Über soziale Themen.«
»Das muss total interessant sein«, sagte Rosa Méndez.
Fate schaute auf Rosa Amalfitanos Lippen, während sie übersetzte.
Er fühlte sich glücklich, hier und jetzt.
Es war ein kurzer Kampf. Zuerst kam der Einmarsch von Count Pickett. Höflicher Beifall, einige Pfiffe. Dann der von Merolino Fernandez. Tosender Beifall. Die erste Runde war ein gegenseitiges Abtasten. In der zweiten ging Pickett zum Angriff über, und in weniger als einer Minute hatte er seinen Gegner ausgeknockt. Der auf die Matte hingestreckte Körper von Merolino Fernandez bewegte sich nicht einmal mehr. Seine Betreuer trugen ihn behutsam in die Ringecke, und weil er nicht zu sich kam, eilten Sanitäter herbei und brachten ihn ins Krankenhaus. Count Pickett reckte fast gelangweilt einen Arm und schritt von seinen Leuten umgeben davon. Nach und nach leerte sich der Sportpalast.
Sie aßen in einem Restaurant namens Taco-König. Am Eingang prangte eine Neonreklame: Sie zeigte einen Jungen mit großer Krone, der auf einem Eselchen saß, das sich in regelmäßigen Abständen auf die Hinterbeine stellte und ihn abzuwerfen versuchte. Der Junge fiel nie runter, obwohl er in der einen Hand einen Taco hielt und in der anderen eine Art Zepter, der ihm vielleicht auch als Reitgerte diente. Der Innenraum war ähnlich eingerichtet wie ein McDonald's, nur irgendwie geschmacklos. Die Stühle waren nicht aus Plastik, sondern aus Korb. Die Tische aus Holz. Den Boden bedeckten große grüne Fliesen, manche mit Wüstenlandschaften oder Landschaften aus dem Leben des Taco-Königs. Von der Decke hingen Töpfe, die auf weitere Abenteuer des Kindkönigs anspielten. Einige der dargestellten Szenen waren von entwaffnender Alltäglichkeit: Der Junge, der Esel und eine einäugige Alte oder der Junge, der Esel und ein Brunnen oder der Junge, der Esel und ein Bohneneintopf. Andere Szenen schilderten geradewegs Extremsituationen: Auf einigen sah man den Jungen mitsamt dem Esel in eine Schlucht stürzen, auf anderen sah man den Jungen und den Esel gefesselt auf einem Scheiterhaufen, auf einer sah man den Jungen sogar seinem Esel den Lauf einer Pistole an die Stirn setzen. Als wäre Taco-König nicht der Name eines Restaurants, sondern die Hauptfigur eines Comics, den zu lesen Fate nie das Glück gehabt hatte. Dennoch, das Gefühl, sich in einem McDonald's zu befinden, blieb. Vielleicht dass die sehr jungen Kellnerinnen und Kellner in ihren militärischen Uniformen (Chucho Flores sagte, sie seien als federales verkleidet) zu diesem Eindruck beitrugen. Ein siegreiches Heer sah anders aus. Denn unter dem Lächeln, das die jungen Bedienungen den Kunden schenkten, sahen sie unendlich müde aus. Einige wirkten verloren in der Wüste, die das Haus des Taco-Königs darstellte. Andere, sie mochten vierzehn
Weitere Kostenlose Bücher