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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Stadt habe. Rosa sagte, nein, eigentlich habe sie keine Freunde. Chucho Flores und Rosa Méndez und Charly Cruz, aber die verstehe er nicht als Freunde, richtig?
    »Nein, das sind keine Freunde«, sagte Fate.
    Von der anderen Zaunseite aus sahen sie eine mexikanische Fahne in der Wüste flattern. Einer der US-amerikanischen Grenzbeamten sah Fate und Rosa eingehend an. Was, fragte er sich, machte eine junge und noch dazu so gut aussehende Weiße in Begleitung eines Schwarzen? Fate hielt dem Blick stand. Journalist?, fragte der Beamte. Fate nickte. Ein hohes Tier, dachte der Beamte. Sicher besorgt er es ihr jede Nacht nach Strich und Faden. Spanierin? Rosa lächelte den Beamten an. Ein Schatten der Frustration huschte über das Gesicht des Beamten. Als sie losfuhren, verschwand die Fahne und man sah nur noch den Zaun und einige von Mauern umgebene Warenlager.
    »Das Pech ist das Problem«, sagte Rosa.
    Fate hörte sie nicht.
    Während sie in einem fensterlosen Raum warteten, spürte Fate seinen Penis immer härter werden. Einen Moment lang dachte er, er habe seit dem Tod seiner Mutter keine Erektion mehr gehabt, verwarf dann aber diesen Gedanken, unmöglich, dachte er, in all der Zeit, obwohl es durchaus möglich war, das Unabänderliche war möglich, das, was sich nicht vermeiden ließ, war möglich, warum also sollte es nicht möglich sein, dass ihm das Blut für eine im Übrigen gar nicht so lange Zeit nicht mehr in den Schwanz gestiegen war? Rosa Amalfitano sah ihn an. Guadalupe Roncal saß auf einem am Boden festgeschraubten Stuhl und war mit ihren Notizen und ihrem Aufnahmegerät beschäftigt. Ab und zu drangen Alltagsgeräusche aus dem Gefängnis herüber. Gebrüllte Namen, gedämpfte Musik, sich entfernende Schritte. Fate setzte sich auf eine Holzbank und gähnte. Er glaubte einzuschlafen. Er stellte sich Rosas Beine über seinen Schultern vor. Er hatte wieder sein Zimmer im Motel Las Brisas vor Augen und fragte sich, ob sie miteinander geschlafen hatten. Natürlich nicht, sagte er sich. Dann hörte er Geschrei, als würde in irgendeinem Gefängnisraum eine Junggesellenparty gefeiert. Er dachte an die Morde. Er hörte entferntes Lachen. Gebrüll. Er hörte, wie Guadalupe Roncal etwas zu Rosa sagte und diese ihr antwortete. Der Traum holte ihn ein, und er sah sich selbst in der Wohnung seiner Mutter in Harlem, friedlich auf dem Sofa schlafend. Ich werde eine halbe Stunde schlafen, sagte er, dann gehe ich wieder an die Arbeit. Ich muss den Bericht über den Boxkampf schreiben. Ich muss die ganze Nacht fahren. Wenn es Tag wird, ist alles vorbei.
    Die wenigen Touristen, die sie auf den Straßen von El Adobe sahen, nachdem sie die Grenze hinter sich hatten, schienen zu schlafen. Eine etwa siebzigjährige Frau in geblümtem Kleid und Nike-Schuhen lag auf den Knien und untersuchte indianische Teppiche. Sie wirkte wie eine Sportlerin aus den vierziger Jahren. Drei Kinder, die einander an den Händen hielten, betrachteten Gegenstände in einem Schaufenster. Die Gegenstände bewegten sich unmerklich, aber Fate konnte nicht genau erkennen, ob es sich um Tiere oder um mechanisches Spielzeug handelte. Vor einer Bar standen ein paar Typen mit Cowboyhüten, die wie Chicanos aussahen, wild gestikulierten und in entgegengesetzte Richtungen zeigten. Am Ende der Straße sah man ein paar Bretterbuden, einige Metallcontainer auf dem Gehweg und dahinter die Wüste. Das alles ist wie der Traum eines anderen, dachte Fate. Rosas Kopf neben ihm ruhte matt auf der Rückenlehne, und ihre großen Augen fixierten unverwandt einen Punkt am Horizont. Fate betrachtete ihre Knie, die in seinen Augen vollkommen waren, dann ihre Hüften und dann ihre Schultern und ihre Schulterblätter, die ein Eigenleben zu führen schienen, ein dunkles Leben, das nur von Zeit zu Zeit in Erscheinung trat. Dann konzentrierte er sich aufs Fahren. Die Straße, die aus EI Adobe hinausführte, verschwand in einer Art ockerfarbenem Wirbel.
    »Was Guadalupe Roncal wohl noch passiert ist?«, sagte Rosa mit einer Stimme, als redete sie im Schlaf.
    »Um die Zeit müsste sie im Flugzeug nach Hause sitzen«, sagte Fate.
    »Wie seltsam«, sagte Rosa.
    Rosas Stimme weckte ihn. »Hör doch mal«, sagte sie.
    Fate öffnete die Augen, hörte aber nichts. Guadalupe Roncal war aufgestanden und stand jetzt mit weit aufgerissenen Augen vor ihnen, als wären ihre schlimmsten Alpträume Wirklichkeit geworden. Fate ging zur Tür und öffnete sie. Sein eines Bein war eingeschlafen, und

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