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Beschreibung des Täters deckte sich mit der des Kirchenschänders von San Rafael. Er zeigte dem Pfarrer das Phantombild. Der Pfarrer war sehr jung und wirkte sehr müde, aber nicht wegen der Ereignisse dieser Nacht, sondern wegen etwas, das ihm seit Jahren auf der Seele lag. Er sieht ihm ähnlich, sagte der Pfarrer, ohne der Sache große Bedeutung beizumessen. Die Kirche roch nach Weihrauch und Urin. Die am Boden verstreut herumliegenden Gipsbrocken erinnerten ihn an einen Film, an welchen, fiel ihm nicht ein. Er stieß eines der Bruchstücke mit dem Fuß an, es sah aus wie der Teil einer Hand und war feucht. Fällt dir was auf?, fragte Márquez. Was?, fragte Juan de Dios Martínez. Das Schwein muss eine gigantische Blase haben. Oder er beherrscht sich extrem lange, und wenn er dann in einer Kirche ist, lässt er es laufen. Wieder draußen, sah er einige Journalisten vom Heraldo del Norte und der Tribuna de Santa Teresa, die mit Schaulustigen sprachen. Er begab sich auf einen Spaziergang durch die angrenzenden Straßen. Hier roch es nicht nach Weihrauch, dafür stank manchmal die Luft, als würde sie aus einem Klärbecken aufsteigen. Nur die wenigsten Straßen waren beleuchtet. Hier war ich noch nie, dachte Juan de Dios Martínez. Am Ende einer Straße sah er schemenhaft die Umrisse eines großen Baums. Es war das Trugbild eines Platzes, und der Baum war noch das Einzige, was in dem öden Halbrund etwas von der Atmosphäre eines öffentlichen Raums bewahrte. Um ihn herum hatten die Anwohner eilig und dilettantisch ein paar Bänke zurechtgezimmert, um die Abendkühle zu genießen. Früher hatte sich hier ein Indianerdorf befunden, erinnerte sich der Kommissar. Das wusste er von einem Polizisten, der in der Siedlung gelebt hatte. Er ließ sich auf eine Bank fallen und betrachtete die imponierende Silhouette des Baums, die sich drohend gegen den bestirnten Himmel abzeichnete. Wo sind die Indianer jetzt? Er dachte an die Leiterin der Irrenanstalt. In diesem Moment hätte er gern mit ihr gesprochen, aber er wusste, er würde sich nicht trauen, sie anzurufen.
Die Anschläge auf die Kirchen San Rafael und San Tadeo erzeugten ein größeres Echo in der örtlichen Presse als die Frauenmorde der zurückliegenden Monate. Tags darauf klapperte Juan de Dios Martínez mit zwei Polizisten und dem Phantombild des Täters die Siedlungen Kino und La Preciada ab. Niemand erkannte den Mann. Zur Mittagspause fuhren die Polizisten in die Innenstadt, und Juan de Dios Martínez rief die Leiterin der Irrenanstalt an. Die Leiterin hatte noch keine Zeitung gelesen und wusste nichts von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Juan de Dios Martínez lud sie zum Essen ein. Wider Erwarten nahm sie seine Einladung an, und sie verabredeten sich in einem vegetarischen Restaurant in der Siedlung Podestá, Calle Río Usumacinta. Er kannte das Restaurant nicht, und dort angekommen, bestellte er einen Tisch für zwei und für die Zeit des Wartens einen Whisky, doch Alkohol wurde hier nicht ausgeschenkt. Der Kellner, der ihn bediente, trug ein kariertes Hemd und Sandalen und sah ihn an, als wäre er krank oder hätte sich in der Adresse geirrt. Er fand das Lokal angenehm. Die Gäste an den anderen Tischen sprachen gedämpft, und die Hintergrundmusik klang wie das Plätschern eines Gebirgsbachs. Die Leiterin sah ihn gleich beim Eintreten, grüßte ihn aber nicht, sondern sprach mit dem Kellner, der hinter dem Tresen ein paar Obstsäfte presste. Nach einem kurzen Wortwechsel kam sie zu ihm an den Tisch. Sie trug eine graue Hose und einen perlweißen Pullover mit Ausschnitt. Juan de Dios Martínez erhob sich, als sie kam, und dankte ihr, dass sie seine Einladung angenommen hatte. Die Leiterin lächelte: Sie hatte kleine, regelmäßige, sehr weiße und spitze Zähne, was ihrem Lächeln etwas Raubtierhaftes verlieh, das sich nicht gut mit der Spezialisierung des Restaurants vertrug. Der Kellner fragte, was sie zu essen wünschten. Juan de Dios Martínez schaute in die Karte und bat sie, etwas für ihn auszusuchen. Während sie auf das Essen warteten, erzählte er ihr von dem Vorfall in der Kirche San Tadeo. Die Leiterin hörte ihm aufmerksam zu und fragte am Ende, ob er ihr alles erzählt habe. Das ist alles, sagte der Kommissar. Meine beiden Kranken haben die Nacht in der Klinik verbracht, sagte sie. Weiß ich bereits, sagte er. Woher? Nachdem ich in der Kirche war, bin ich zur Irrenanstalt gefahren. Ich habe den Pfleger und eine Nachtschwester gebeten, mich
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