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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Größe beschrieb, dunkelhäutig und kräftig gebaut, ein gewöhnlicher Mexikaner. Dann sprach er mit den Betschwestern. Für sie hatte er nicht ausgesehen wie ein gewöhnlicher Mexikaner, sondern wie der Leibhaftige. Und was wollte der Leibhaftige in der Frühmesse?, fragte der Kommissar. Er wollte uns alle umbringen, sagten die Betschwestern. Um zwei Uhr nachmittags fuhr er in Begleitung eines Zeichners ins Krankenhaus, um die Aussage des Küsters aufzunehmen. Seine Personenbeschreibung deckte sich mit der des Pfarrers. Der Unbekannte hatte nach Alkohol gestunken. Ein beißender Geruch, als hätte er sein Hemd in einer Schüssel mit neunzigprozentigem Alkohol gewaschen, bevor er sich an jenem Morgen anzog. Er hatte sich tagelang nicht rasiert, was aber kaum auffiel, da er ja noch ein Milchbart war. Woran er das gesehen habe, wollte Juan de Dios Martínez wissen. Daran, wie ihm die Fusseln ums Maul standen, spärlich und unregelmäßig, wie hingeschissen von seiner Hure von Mutter und seinem schwulen Schwanzlutscher von Vater, sagte der Küster. Außerdem hatte er große, kräftige Hände. Hände, die für seinen übrigen Körper vielleicht zu groß waren. Und er weinte, so viel ist sicher, schien aber auch zu lachen, weinte und lachte gleichzeitig. Verstehen Sie?, sagte der Küster. Als würde er unter Drogen stehen?, fragte der Kommissar. Ja. Genau. Später telefonierte Juan de Dios Martínez mit der Irrenanstalt von Santa Teresa und erkundigte sich, ob es unter den Kranken einen gebe oder gegeben habe, auf den besagte Beschreibung zutreffe. Zwei, wurde ihm geantwortet, aber keiner von beiden sei gewalttätig. Er fragte, ob man ihnen Freigang gewähre. Dem einen ja, dem anderen nein, wurde erwidert. Ich werde sie mir mal anschauen, sagte der Kommissar. Um siebzehn Uhr, er hatte vorher noch in einem Lokal gegessen, in das sonst nie Polizisten gingen, parkte er seinen graumetallicfarbenen Cougar auf dem Parkplatz der Irrenanstalt. Er wurde von der Anstaltsleiterin empfangen, einer Frau Anfang fünfzig mit blondgefärbtem Haar, die ihm einen Kaffee bringen ließ. Ihr Büro war hübsch und, wie er fand, geschmackvoll eingerichtet. An den Wänden hingen eine Reproduktion von Picasso und eine von Diego Rivera. Während er noch auf die Leiterin wartete, stand Juan de Dios Martínez lange vor dem Bild von Diego Rivera. Auf dem Tisch entdeckte er zwei Fotografien: Die eine zeigte die Leiterin als junge Frau, wie sie ein Mädchen umarmte, das direkt in die Kamera schaute. Das Mädchen hatte einen sanften, verträumten Blick. Auf dem anderen Foto war die Leiterin noch jünger. Sie saß neben einer älteren Frau, zu der sie fröhlich aufschaute. Die ältere Frau dagegen machte ein ernstes Gesicht und blickte in die Kamera, als fände sie es unschicklich, fotografiert zu werden. Als die Leiterin endlich kam, fiel dem Kommissar sofort auf, dass viele Jahre vergangen waren, seit jemand die Fotos gemacht hatte. Und ihm fiel auf, dass die Leiterin noch immer sehr schön war. Sie sprachen eine Weile über die Kranken. Die Gefährlichen bleiben im Haus, erklärte die Leiterin. Aber gefährliche Kranke gebe es nicht viele. Der Kommissar legte ihr das Phantombild vor, das der Zeichner erstellt hatte, und die Leiterin sah es sich einige Sekunden lang aufmerksam an. Juan de Dios Martínez blickte auf ihre Hände. Sie hatte lackierte Nägel und schlanke Finger, die sich sanft anzufühlen schienen. Auf ihrem Handrücken konnte er einige Leberflecke entdecken. Die Leiterin sagte, das Bild sei nicht gut, es könne jeden x-Beliebigen darstellen. Dann begaben sie sich zu den beiden Kranken. Sie hielten sich im Hof auf, in einem riesigen, baumlosen Hof mit nackter Erde, wie ein Bolzplatz in einem Armenviertel. Ein Pfleger in weißem Hemd und weißer Hose brachte den ersten. Juan de Dios Martínez hörte, wie die Leiterin sich nach seinem Befinden erkundigte. Dann sprachen sie über das Essen. Der Kranke sagte, er könne fast kein Fleisch mehr essen, drückte es aber so verworren aus, dass dem Kommissar nicht klar war, ob er sich über das Mittagessen beklagte oder ihr eine wahrscheinlich kürzlich entstandene Abneigung gegen Fleisch mitteilte. Die Ärztin verwies auf Proteine. Der Wind im Hof wirbelte manchmal die Haare der Patienten durcheinander. Es muss dringend eine Mauer gebaut werden, hörte er die Ärztin sagen. Wenn es so heftig weht, werden sie unruhig, sagte der weiß gekleidete Pfleger. Anschließend brachte er den anderen. Juan de

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