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Dios Martínez glaubte zuerst, es handle sich um Brüder, doch sobald die beiden nebeneinander standen, merkte man, dass die Ähnlichkeit trog. Von weitem, dachte er, sehen Geisteskranke sowieso alle gleich aus. Zurück im Büro fragte er, wie lange sie schon die Irrenanstalt leite. Eine halbe Ewigkeit, sagte sie lachend. Ich kann es gar nicht genau sagen. Bei einer weiteren Tasse Kaffee, eine Vorliebe der Leiterin, wie es schien, fragte er sie, ob sie aus Santa Teresa sei. Nein, sagte die Leiterin. Ich stamme aus Guadalajara und habe in DF und in San Francisco, Berkeley, studiert. Juan de Dios Martínez hätte sich gern noch länger mit ihr unterhalten, mit ihr Kaffee getrunken und sie vielleicht gefragt, ob sie verheiratet oder geschieden sei, aber er hatte keine Zeit. Kann ich sie mitnehmen?, fragte er. Die Leiterin sah ihn verständnislos an. Kann ich die beiden Verrückten mitnehmen? Die Leiterin lachte ihm ins Gesicht und fragte, ob es ihm noch gut gehe. Wohin wollen Sie sie mitnehmen? Zu einer Art Gegenüberstellung, sagte der Kommissar. Das Opfer liegt im Krankenhaus und kann sich nicht bewegen. Sie borgen mir Ihre Patienten für ein paar Stunden, ich nehme sie mit ins Krankenhaus, und vor Einbruch der Nacht bringe ich sie zurück. Und das verlangen Sie von mir?, sagte die Leiterin. Sie sind die Chefin, sagte der Kommissar. Bringen Sie mir einen richterlichen Befehl, sagte die Leiterin. Ich kann Ihnen einen bringen, aber das ist reiner Papierkram. Außerdem, wenn ich einen richterlichen Befehl mitbringe, wird man Ihre Patienten aufs Kommissariat bringen und sie dort möglicherweise ein oder zwei Tage festhalten, das wird ihnen nicht gut bekommen. Wenn ich sie stattdessen jetzt mitnehme, wird nichts passieren. Ich setze sie in mein Auto, der einzige Polizist bin ich, wenn das Opfer einen wiedererkennt, bringe ich ihnen trotzdem ihre Verrückten wieder zurück, alle beide. Finden Sie das nicht viel einfacher? Nein, das finde ich nicht, sagte die Leiterin. Bringen Sie mir einen richterlichen Befehl, dann sehen wir weiter. Ich wollte Sie nicht beleidigen, sagte der Kommissar. Ich bin empört, sagte die Leiterin. Juan de Dios Martínez lachte. Also dann nehme ich sie eben nicht mit und fertig, sagte er. Aber sorgen Sie dafür, dass keiner der beiden die Irrenanstalt verlässt, versprechen Sie mir das? Die Leiterin erhob sich, und für einen Moment dachte er, sie würde ihn hinauswerfen. Dann griff sie zum Telefonhörer und bat ihre Sekretärin um eine weitere Tasse Kaffee. Möchten Sie auch noch einen? Juan de Dios Martínez nickte. Heute Nacht werde ich nicht schlafen können, dachte er.
In dieser Nacht besuchte der Unbekannte aus der Kirche San Rafael die Kirche San Tadeo in der Siedlung Kino, einem Stadtteil, der zwischen Gestrüpp und sanft geschwungenen Hügeln im Südwesten von Santa Teresa aus dem Boden schoss. Um Mitternacht bekam Juan de Dios Martínez einen Anruf. Er saß vor dem Fernseher, und nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, räumte er das schmutzige Geschirr vom Tisch in die Spüle. Er nahm seine Pistole und das zusammengefaltete Phantombild aus der Nachttischschublade und ging die Treppe hinunter in die Garage, wo sein roter Chevy Astra stand. Als er bei der Kirche San Tadeo eintraf, saßen einige Frauen auf den Lehmziegelstufen der Freitreppe. Viele waren es nicht. In der Kirche traf er Kommissar José Márquez, der mit dem Pfarrer sprach. Er fragte einen Polizisten, ob der Krankenwagen schon da sei. Der Polizist grinste und sagte, es gebe keine Verletzten. Was zum Henker soll das heißen? Zwei Typen von der Spurensicherung untersuchten gerade eine Christusfigur, die neben dem Altar am Boden lag. Diesmal hat der Irre niemandem etwas getan, sagte José Márquez, nachdem er mit dem Pfarrer fertig war. Juan de Dios Martínez wollte wissen, was passiert sei. Gegen zehn tauchte hier so ein vollgedröhnter Idiot auf, sagte Márquez. Er trug ein Klappmesser oder Taschenmesser bei sich. Setzte sich in eine der hintersten Bänke. Dort. In die dunkelste Ecke. Eine der alten Damen hörte ihn weinen. Der Kerl weinte, keine Ahnung, vor Traurigkeit oder vor Freude. Dabei pisste er sich voll. Dann ging die Alte den Pfarrer holen, und der Kerl sprang auf und fing an, die Figuren zu zerstören. Einen Christus, eine Jungfrau von Guadalupe und noch ein paar andere Heilige. Dann verschwand er. Das ist alles?, fragte Juan de Dios Martínez. Alles, ja, sagte Márquez. Sie sprachen kurz mit den Zeugen. Die
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