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der Schlaf übermannte. Das Gebäude war mit der Kirche über einen Flur verbunden, der direkt in die Sakristei führte. Angeblich gab es noch einen anderen, unterirdischen Gang, den die Priester zur Zeit der Revolution und der Cristeros-Rebellion benutzt hatten, aber von der Existenz dieses Geheimgangs wusste der Pápago-Seminarist nichts. Plötzlich weckte ihn der Lärm splitternden Glases. Seltsamerweise dachte er erst, es würde regnen, aber dann merkte er, dass der Lärm aus der Kirche kam, nicht von draußen, und er stand auf, um nachzusehen. Als er in die Sakristei kam, hörte er ein Stöhnen und dachte, jemand sei aus Versehen in einem der Beichtstühle eingeschlossen worden, eigentlich unwahrscheinlich, da deren Türen nie abgeschlossen wurden. Entgegen der Meinung, die über sein Volk kursierte, war der Pápago-Seminarist sehr ängstlich und traute sich nicht allein in die Kirche. Er weckte daher den anderen Seminaristen, und dann klopften beide zaghaft an der Tür von Pater Juan Carrasco, der wie die anderen Bewohner des Hauses um diese Zeit schlief. Pater Juan Carrasco hörte sich im Flur den Bericht des Pápago an, und da er regelmäßig Zeitung las, sagte er: Das muss der Büßer sein. Sogleich lief er zurück in sein Zimmer, zog Hose und Turnschuhe an, die er zum Joggen und in der Pelota-Halle benutzte, und holte einen alten Baseballschläger aus dem Schrank. Dann schickte er einen der Pápagos los, den Hausmeister zu wecken, der in einem kleinen Zimmer im Erdgeschoss neben der Treppe wohnte, und ging dann mit dem Pápago, den die Geräusche alarmiert hatten, in die Kirche. Auf den ersten Blick hatten beide den Eindruck, dort sei niemand. Der glasige Dunst der Kerzen stieg langsam zum Gewölbe empor, und eine dicke, dunkelgelbe Wolke hing unbeweglich im Innern des Gotteshauses. Kurz darauf hörten sie ein Stöhnen, wie wenn ein Kind krampfhaft versuchte, sich nicht zu übergeben, dann folgte noch ein Stöhnen und noch eins, und dann das wohlbekannte Geräusch des ersten Strahls. Das ist der Büßer, flüsterte der Seminarist. Pater Carrasco runzelte die Stirn und ging festen Schrittes zu der Stelle, von wo die Geräusche kamen, wobei er den Baseballschläger schlagbereit in beiden Händen hielt. Der Pápago folgte ihm nicht. Vielleicht tat er ein Schrittchen oder zwei hinter dem Priester her, um dann von heiliger Furcht übermannt stehenzubleiben. Tatsächlich klapperten seine Zähne mit der Geschwindigkeit von Kastagnetten. Er stand da, unfähig, sich zu rühren. Also, erklärte er später der Polizei, habe er angefangen zu beten. Was hast du gebetet?, fragte Kommissar Juan de Dios Martínez. Der Pápago verstand die Frage nicht. Das Vaterunser?, fragte der Kommissar. Nein, ich kann mich an nichts erinnern, sagte der Pápago, ich habe für meine Seele gebetet, für mein Mütterchen, ich bat es, mich nicht zu verlassen. Von da, wo er stand, hörte er den Baseballschläger gegen eine Säule krachen. Das konnte, dachte er oder erinnerte er sich, gedacht zu haben, genauso gut die Wirbelsäule des Büßers oder die ein Meter neunzig hohe Säule gewesen sein, auf der die Holzfigur des Erzengels Gabriel stand. Dann hörte er jemanden schnaufen. Hörte den Büßer stöhnen. Hörte, wie Pater Carrasco jemanden beleidigte, mit einer seltsamen Beleidigung, ehrlich gesagt, von der er nicht wusste, ob sie sich an den Büßer richtete oder an ihn, der er ihn nicht begleitet hatte, oder an eine unbekannte Person aus der Vergangenheit von Pater Carrasco, eine, die er niemals kennenlernen und die der Pater niemals wiedersehen würde. Dann das Geräusch, das ein Baseballschläger verursacht, der auf einen Boden aus sorgfältig und genau zugeschnittenen Steinplatten fällt. Das Holz, der Schläger federte mehrmals hoch, bis das Geräusch allmählich erstarb. Fast im selben Moment hörte er einen Schrei, der ihn erneut an die heilige Furcht denken ließ. Gedankenloses Denken. Oder Denken in flirrenden Bildern. Und dann glaubte er wie im Schein einer Kerze, oder vielleicht auch wie im Schein eines Blitzes, die Gestalt des Büßers zu sehen, der dem Erzengel mit dem Baseballschläger die Schienbeine wegschlug und so von seinem Sockel mähte. Erneut das Geräusch diesmal uralten Holzes, das auf den Stein prallte, als wären Holz und Stein in diesen Breiten streng antagonistische Begriffe. Und weitere Schläge. Und dann die Schritte des Hausmeisters, der angerannt kam und ebenfalls im Dunkel verschwand, und die Stimme seines
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