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Seite und machte ihr bewusst, dass natürlich auch sie diese Seite besaß. Ihre älteste Tochter begann mit fünfzehn zu arbeiten. Der Weg zur Fabrik, noch immer zu Fuß, verging unter Geplauder und Gelächter wie im Flug. Der Sohn verließ mit vierzehn die Schule. Einige Monate lang arbeitete er bei Interzone-Berny, aber nach mehreren Verwarnungen wurde er wegen Unkonzentriertheit entlassen. Der Junge hatte zu große und zu ungeschickte Hände. Daraufhin besorgte ihm die Mutter Arbeit in einer nahe gelegenen Bäckerei. Die Einzige, die zur Schule ging, war Penélope Méndez Becerra. Sie besuchte die Grundschule Aquiles Serdán in der Calle Aquiles Serdán. Die Schüler kamen aus den Siedlungen Carranza, Veracruz und Morelos, ein Kind sogar aus einem Innenstadtbezirk. Penélope Méndez Becerra besuchte die fünfte Grundschulklasse. Sie war ein stilles Kind, erhielt aber immer gute Noten. Sie hatte langes, schwarzes, glattes Haar. Eines Tages ging sie zur Schule und wurde nicht mehr gesehen. Noch am gleichen Nachmittag bat ihre Mutter um eine Sondergenehmigung, damit sie zum Zweiten Kommissariat gehen und eine Vermisstenanzeige aufgeben konnte. Ihr Sohn begleitete sie. Auf dem Kommissariat nahm man ihren Namen auf und sagte, man müsse ein paar Tage verstreichen lassen. Ihre ältere Tochter Livia konnte nicht mitkommen, weil man bei Interzone der Meinung war, dass eine Sondergenehmigung reiche. Auch am nächsten Tag blieb Penélope Méndez Becerra verschwunden. Die Mutter und ihre beiden Kinder wurden wieder vorstellig und wollten wissen, welche Fortschritte erzielt worden seien. Der Polizist, der sie an seinem Tisch empfing, sagte, sie solle nicht frech werden. Ebenfalls anwesend waren der Direktor und drei Lehrer der Aquiles-Serdán-Grundschule, die am Schicksal von Penélope Méndez Becerra Anteil nahmen, und sie waren es, die die Familie nach draußen zogen, bevor man ihr wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eine Strafe aufbrummte. Tags darauf befragte der Bruder einige Klassenkameradinnen von Penélope. Eine sagte, sie glaube gesehen zu haben, dass Penélope in ein Auto mit getönten Scheiben ein- und nicht wieder ausgestiegen sei. Ihre Beschreibung deutete auf einen Peregrino oder MasterRoad hin. Der Bruder und Penélopes Lehrerin sprachen lange mit der Schülerin, aber die einzige klare Information, die sie aus ihr herausbekamen, war, dass es sich um ein teures, schwarzes Auto gehandelt habe. Drei Tage lief der Bruder bis zur Erschöpfung durch Santa Teresa und suchte nach einem schwarzen Auto. Er fand jede Menge, einige hatten sogar getönte Scheiben und blitzten wie frisch aus der Fabrik, aber sie gehörten Leuten, die nicht wie Entführer aussahen, oder jungen Pärchen (deren Glück Penélopes Bruder Tränen in die Augen trieb) oder Frauen. Trotzdem notierte er sich alle Autonummern. Abends saß die Familie beisammen und sprach über Penélope, nichts von Bedeutung, oder von einer nur ihnen verständlichen Bedeutung. Eine Woche später fand man ihre Leiche. Angestellte der Stadtwerke entdeckten sie in einem Abwasserkanal, der unterirdisch von der Siedlung San Damián zum Barranco El Ojito verlief, nicht weit von der Straße nach Casas Negras, hinter der illegalen Mülldeponie El Chile. Der Leichnam wurde umgehend dem Gerichtsmediziner übergeben, der feststellte, dass sie anal und vaginal vergewaltigt worden war, verbunden mit erheblichen inneren Verletzungen, und dass man sie irgendwann erwürgt hatte. Eine zweite Autopsie ergab, dass Penélope Méndez Becerra an Herzversagen gestorben war, während man sich in der genannten Weise an ihr verging.
Lalo Cura war damals gerade siebzehn geworden, sechs Jahre älter als Penélope Méndez zum Zeitpunkt ihrer Ermordung, und Epifanio hatte ihm eine Bleibe besorgt. Es war ein Zimmer in einem der alten Mietshäuser, die es in der Innenstadt noch gab. Es lag in der Calle Obispo, und wenn man den Hausflur durchquerte, von dem die Treppen abgingen, gelangte man in einen riesigen Hof mit einem großen Brunnen in der Mitte und blickte rundum auf die drei Geschosse des Gebäudes und die umlaufenden Galerien mit ihrem bröckelnden Putz, auf denen die Kinder spielten und die Nachbarinnen sich unterhielten, Galerien, die, durch ein hölzernes Vordach ein wenig geschützt, auf dünnen, mittlerweile stark verwitterten Eisenpfeilern ruhten. Das Zimmer von Lalo Cura war groß und bot genug Raum für ein Bett, einen Tisch mit drei Stühlen, einen Kühlschrank (neben dem
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