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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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geworden. Als sie nach Santa Teresa zurückfuhren, fragte ihn Pedro Negrete, ob er Lust hätte, bei der Polizei anzufangen. Lalo Cura nickte zustimmend. Kurz nach Verlassen der Ranch kamen sie an einem riesigen schwarzen Stein vorbei. Auf dem Stein glaubte Lalo eine Gila-Echse zu erkennen, regungslos und in Betrachtung des unendlichen Westens. Angeblich soll der Stein ein Meteorit sein, sagte Pedro Negrete. Weiter nördlich, oberhalb einer Senke, beschrieb der Fluss Paredes einen Bogen, und vom Weg aus sah man auf die Baumkronen wie auf einen schwarzgrünen Teppich, über dem die Staubwolke von Pedro Rengifos Rindern schwebte, die dort jeden Nachmittag getränkt wurden. Aber wenn es ein Meteorit wäre, sagte Pedro Negrete, müsste es einen Krater geben, und wo ist der Krater? Als er den schwarzen Stein noch einmal im Rückspiegel betrachtete, war die Gila-Echse verschwunden.

Die erste Tote des Jahres 1994 wurde von Lastwagenfahrern an einem Abzweig der Hauptstraße nach Nogales gefunden, mitten in der Wüste. Die Lastwagenfahrer, beide Mexikaner, arbeiteten für die Maquiladora Key Corp und hatten an diesem Nachmittag, obwohl sie voll beladen waren, beschlossen, in einem Restaurant namens El Ajo etwas zu essen und zu trinken, wo der eine Lkw-Fahrer Leute kannte. Auf dem Weg zu besagtem Restaurant bemerkte der andere Lkw-Fahrer, Rigoberto Reséndiz, ein Glänzen in der Wüste, das ihn für Sekunden blendete. In der Annahme, jemand erlaube sich einen Scherz, setzte er sich über Funk mit seinem Kollegen, Villas Martínez, in Verbindung, und die Lastwagen hielten an. Die Hauptstraße war menschenleer. Villas Martínez versuchte Reséndiz zu überzeugen, dass es sich wahrscheinlich nur um die Spiegelung der Sonne in einer Flasche oder Glasscherbe handelte, aber dann sah der andere in dreihundert Meter Entfernung von der Straße ein Bündel und ging darauf zu. Nach einer Weile sah Villas Martínez, dass Reséndiz nach ihm pfiff, und verließ ebenfalls die Straße, nicht ohne sich davon überzeugt zu haben, dass beide Lastwagen abgeschlossen waren. Als er neben seinem Kollegen stand, sah er die Leiche, und obwohl das Gesicht völlig zerstört war, bestand kein Zweifel, dass es sich um eine Frau handelte. Seltsamerweise war das Erste, was ihm auffiel, ihr Schuhwerk. Sie trug Sandalen aus Schaftleder, handgearbeitet. Villas Martínez bekreuzigte sich. Und was machen wir jetzt?, hörte er Reséndiz sagen. Am Klang seiner Stimme erkannte er, dass die Frage rhetorisch gemeint war. Die Polizei benachrichtigen, sagte er. Eine gute Idee, sagte Reséndiz. Um die Hüfte trug die Tote einen Gürtel mit einer großen Metallschnalle. Das war es, was dich geblendet hat, Kumpel, sagte er. Ja, hab ich schon gesehen, sagte Reséndiz. Bekleidet war die Tote mit Hot Pants und einer gelben Bluse aus Kunstseide, die vorne mit einer großen schwarzen und auf dem Rücken mit einer roten Blume bedruckt war. Als sie beim Gerichtsmediziner auf dem Tisch lag, stellte der verwundert fest, dass sie unter den Hot Pants noch ein Höschen mit Schleifchen an den Seiten trug. Im Übrigen war sie anal und vaginal vergewaltigt worden, der Tod war durch ein multiples Schädel-Hirn-Trauma verursacht worden, wenngleich sie auch zwei Stichwunden aufwies, eine im Brust- und eine im Rückenbereich, durch die sie viel Blut verloren hatte, die aber nicht zwangsläufig tödlich gewesen wären. Das Gesicht war, wie die LKW-Fahrer gleich gesehen hatten, vollkommen unkenntlich. Der Zeitpunkt des Todes wurde, zur ungefähren Orientierung, auf die Tage zwischen dem ersten und sechsten Januar 1994 eingegrenzt, obwohl niemand ausschließen konnte, dass die Leiche nicht schon seit dem 25. oder 26. Dezember des gerade glücklich vergangenen Jahres dort lag.
    Die nächste Tote war Leticia Contreras Zamudio. Die Polizei war auf einen anonymen Anruf hin im La Riviera erschienen, einem Nachtclub in der Innenstadt von Santa Teresa, zwischen den Straßen Lorenzo Sepúlveda und Álvaro Obregón. Dort, in einem der Séparées, fanden sie die Leiche, die zahlreiche Verletzungen in Brust und Unterleib sowie an den Unterarmen aufwies, woraus man schloss, dass Leticia Contreras bis zum letzten Atemzug um ihr Leben gekämpft hatte. Die Tote war dreiundzwanzig und arbeitete seit über vier Jahren als Prostituierte, ohne je in einen Fall von Erregung öffentlichen Ärgernisses verwickelt gewesen zu sein. Bei der Befragung konnte keine ihrer Kolleginnen sagen, wer sich zusammen mit Leticia

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