Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
Tisch) und einen viel zu großen Schrank für die wenigen Kleidungsstücke, die er besaß. Es gab auch eine Kochnische und ein gerade neu eingebautes Spülbecken aus Beton, um schmutziges Geschirr abzuwaschen oder sich kurz frisch zu machen. Waschbecken und Dusche waren gemeinschaftlich, und in jedem Stockwerk gab es zwei Klos, drei weitere auf der Dachterrasse. Epifanio zeigte ihm zunächst sein eigenes Zimmer, das sich im Erdgeschoss befand. Seine Kleider hingen an einer Kordel, die er von einer Wand zur anderen gespannt hatte, und neben dem ungemachten Bett lag ein Stapel alter Zeitungen, die meisten aus Santa Teresa, die unteren bereits vergilbt. Die Küche schien lange nicht benutzt worden zu sein. Ein Polizist wohnt am besten allein, sagte er, aber er solle tun, wozu er Lust habe. Dann begleitete er ihn zu seinem Zimmer, das sich im zweiten Stock befand, und überreichte ihm die Schlüssel. Jetzt hast du eine Wohnung, Lalito, sagte er. Wenn du fegen willst, bitte die Nachbarin um den Besen. Jemand hatte einen Namen an die Wand geschrieben: Ernesto Arancibia. Arancibia war statt mit b mit v geschrieben worden. Lalo zeigte auf den Namen, und Epifanio zuckte die Schultern. Bezahlt wird am Monatsende, sagte er und ging ohne weitere Erklärung.
    Ebenfalls in jenen Tagen erging der Befehl an Kommissar Juan de Dios Martínez, den Fall des Kirchenschänders ruhen zu lassen und sich mit einer Serie schwerer Raubüberfälle zu befassen, die in den Siedlungen Centeno und Podestá begangen worden waren. Auf seine Frage, ob der Fall damit ad acta gelegt sei, hieß es nein, aber da der Büßer sich anscheinend in Luft aufgelöst habe und die Ermittlungen nicht vom Fleck kämen, außerdem Santa Teresa mit Kripobeamten nicht gerade reichlich versehen sei, müsse er sich eben vorrangig um die dringenderen Fälle kümmern. Selbstverständlich heiße das nicht, dass man den Büßer vergessen wolle, nur müssten die ihm unterstellten Polizisten, die ihre Zeit damit vergeudeten, rund um die Uhr die Kirchen der Stadt zu bewachen, sich mit Aufgaben befassen, die im Sinne der öffentlichen Sicherheit dringlicher seien. Juan de Dios Martínez akzeptierte den Befehl, ohne zu murren.
    Die nächste Tote war Lucy Anne Sander. Sie lebte in Huntville, Arizona, rund fünfzig Kilometer von Santa Teresa entfernt, und hatte mit einer Freundin zunächst El Adobe besucht und dann im Auto die Grenze überquert, um zumindest einen kleinen Geschmack von den schlaflosen Nächten von Santa Teresa zu bekommen. Ihre Freundin hieß Erica Delmore; sie war die Besitzerin und Fahrerin des Wagens. Beide arbeiteten in einer Kunstschmiede in Huntville, in der Indianerschmuck hergestellt wurde, der anschließend im großen Stil an Souvenirläden in Tombstone, Tucson, Phoenix und Apache Junction verkauft wurde. In der Kunstschmiede waren sie die einzigen Weißen, alle anderen Arbeiterinnen waren mexikanischen oder indianischen Ursprungs. Lucy Anne stammte aus einem kleinen Dorf in Mississippi. Sie war sechsundzwanzig und träumte von einem Leben am Meer. Manchmal sprach sie davon, zurück nach Mississippi zu gehen, meist aber nur, wenn sie erschöpft oder schlechter Laune war, was selten vorkam. Erica Delmore war vierzig und bereits zweimal verheiratet gewesen. Sie stammte aus Kalifornien, aber in Arizona, wo weniger Menschen lebten und das Leben viel friedlicher verlief, war sie glücklich. In Santa Teresa angekommen, fuhren sie direkt in das Diskothekenviertel im Zentrum der Stadt und gingen erst ins El Pelícano, anschließend ins Domino's, und auf dem Weg dorthin schloss sich ihnen ein etwa zweiundzwanzigjähriger Mexikaner an, der sich Manuel oder Miguel nannte. Ein netter Kerl, wie Erica erklärte, der mit Lucy Anne anzubändeln und, als sie ihn abblitzen ließ, sein Glück bei ihr versuchte, sich dabei aber keineswegs aufdringlich oder machistisch verhielt. Irgendwann, als sie noch im Domino's waren, machte sich dieser Manuel oder Miguel (Erica konnte sich an seinen Namen nicht genau erinnern) aus dem Staub, und sie standen allein an der Bar. Später fuhren sie im Auto aufs Geratewohl durch die Straßen der Innenstadt und sahen sich historische Gebäude an: Die Kathedrale, das Rathaus, einige alte Kolonialbauten, den von Kolonnaden gesäumten Exerzierplatz. Erica zufolge wurden sie zu keinem Zeitpunkt von irgendjemandem belästigt oder verfolgt. Während sie um den Platz fuhren, rief ihnen ein US-amerikanischer Tourist zu: Ihr müsst euch den Pavillon

Weitere Kostenlose Bücher