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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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anschauen, Mädchen, der ist grandios. Anschließend verschwand der Tourist in der Menge, und sie fanden, es sei keine schlechte Idee, ein Stück zu laufen. Es war eine strahlende, kühle, sternenklare Nacht. Während Erica noch einen Parkplatz suchte, war Lucy Anne ausgestiegen, hatte sich ihrer Schuhe entledigt und lief auf den frisch gesprengten Rasen. Nachdem Erica den Wagen abgestellt hatte, kam sie zurück, konnte Lucy Anne aber nirgends finden. Sie beschloss, langsam über den Platz auf den berühmten Pavillon zuzulaufen. Es gab ein paar Sandwege, die Hauptwege jedoch besaßen noch die alte Pflasterung. Auf den Bänken sah sie Pärchen plaudern oder sich küssen. In dem schmiedeeisernen Pavillon spielten ungeachtet der späten Stunde hellwach ein paar Kinder. Die Beleuchtung war spärlich, eben ausreichend, um nicht ganz im Dunkeln zu tappen, aber die Anwesenheit so vieler Menschen ließ keine zwielichtige Atmosphäre entstehen. Sie konnte Lucy Anne nicht finden, glaubte aber, den Touristen wiederzuerkennen, der ihnen lautstark den Platz angepriesen hatte. Er saß mit drei anderen zusammen, es wurde Tequila getrunken, und die Flasche kreiste. Sie ging zu ihnen und fragte sie nach ihrer Freundin. Der US-amerikanische Tourist sah sie an, als habe sie nicht alle Tassen im Schrank. Alle waren betrunken, aber Erica wusste, wie man mit Betrunkenen umging, und erklärte die Situation. Alle vier waren jung, hatten nichts zu tun und beschlossen, ihr zu helfen. Binnen kurzem hallten Stimmen über den Platz, die nach Lucy Anne riefen. Erica kehrte zu dem geparkten Wagen zurück. Niemand da. Sie stieg ein, verschloss die Türen von innen und drückte mehrmals auf die Hupe. Dann begann sie zu rauchen, bis die Luft im Innern sie zu ersticken drohte und sie ein Fenster öffnen musste. Als es Tag wurde, fuhr sie zu einer Polizeistation und fragte, ob es in der Stadt ein Konsulat der Vereinigten Staaten gebe. Der Polizist vor ihr wusste es nicht und musste seine Kollegen fragen. Einer von ihnen sagte, es gebe eins. Erica stellte eine Vermisstenanzeige und fuhr mit der Fotokopie zum Konsulat, das in der Calle Verdejo, in der Siedlung Centro-Norte, lag, unweit der Gegend, wo sie in der vergangenen Nacht unterwegs gewesen waren, und das noch geschlossen hatte. Ein paar Meter weiter entdeckte Erica ein Café und ging hinein. Sie bestellte ein Gemüsesandwich und einen Ananassaft und rief anschließend vom Café aus in Lucy Annes Wohnung in Huntville an, aber niemand nahm ab. Von ihrem Tisch aus konnte sie zusehen, wie die Straße allmählich zum Leben erwachte. Nachdem sie ihren Saft ausgetrunken hatte, rief sie noch einmal in Huntville an, diesmal wählte sie jedoch die Nummer des Sheriffs. Ein junger Bursche nahm ab, den sie gut kannte und der Rory Campuzano hieß. Von ihm erfuhr sie, dass der Sheriff noch nicht da sei. Erica sagte, Lucy Anne sei in Santa Teresa verschwunden und sie werde, wie es aussehe, den Morgen auf dem Konsulat verbringen oder die Krankenhäuser nach ihr absuchen. Sag ihm, er soll mich im Konsulat anrufen, sagte sie. Das mache ich, Erica, bleib ganz ruhig, sagte Roy und legte dann auf. Eine Stunde lang saß sie da und knabberte an ihrem Gemüsesandwich herum, bis sie an der Tür des Konsulats Bewegungen wahrnahm. Sie wurde von einem Typ namens Kurt A. Banks empfangen, der ihr alle möglichen Fragen zu ihrer Freundin und zu ihr selbst stellte, als würde er Ericas Version der Ereignisse keinerlei Glauben schenken. Erst als sie ging, begriff Erica, dass der Typ sowohl Lucy Anne als auch sie für Prostituierte hielt. Sie fuhr dann zurück zum Kommissariat, wo sie die gleiche Geschichte noch zweimal vor Polizisten erzählen musste, die nichts von ihrer Anzeige wussten und ihr schließlich mitteilten, dass es keine Neuigkeiten gebe bezüglich des Verschwindens ihrer Freundin, die schon wieder die Grenze überquert haben könnte. Einer der Polizisten empfahl ihr, das Gleiche zu tun, es sei das Beste, die Angelegenheit dem Konsulat zu überlassen und nach Hause zu fahren. Erica sah ihm ins Gesicht. Er hatte ein anständiges Gesicht, und der Rat schien gut gemeint. Den restlichen Vormittag und einen Teil des Nachmittags brachte sie damit zu, Krankenhäuser abzuklappern. Bis zu diesem Moment hatte sie keinen Gedanken darauf verwendet, weswegen Lucy Anne in einem Krankenhaus gelandet sein könnte. Einen Unfall schloss sie aus, da Lucy Anne auf dem Platz oder in unmittelbarer Nähe verschwunden war und sie nicht den

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