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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Contreras in dem Séparée befunden hatte. Für den Zeitpunkt des Verbrechens verorteten einige sie auf der Toilette. Andere sagten, sie sei im Untergeschoss gewesen, wo vier Poolbillardtische standen, ein Spiel, für das Leticia eine Schwäche hatte und durchaus begabt war. Eine ging so weit zu behaupten, Leticia sei allein gewesen, aber was tat eine Prostituierte allein in einem Séparée? Um vier Uhr morgens wurde die gesamte Belegschaft des La Riviera zum Ersten Kommissariat abtransportiert. Zu jener Zeit machte Lalo Cura gerade eine Ausbildung als Verkehrspolizist. Er arbeitete nachts und zu Fuß, bewegte sich wie ein Phantom zwischen den Siedlungen Álamos und Rubén Daría, von Süd nach Nord, ohne Eile, bis er die Innenstadt erreichte, und dann konnte er zurück zum Ersten Kommissariat gehen oder tun, wozu er Lust hatte. Als er die Uniform auszog, hörte er die Schreie. Ohne ihnen größere Beachtung beizumessen, ging er unter die Dusche, aber als er den Hahn zudrehte, hörte er sie wieder. Sie kamen aus den Kellern. Er schob sich die Pistole in den Gürtel und trat auf den Flur. Um diese Zeit war das Erste Kommissariat mit Ausnahme des Warteraums fast menschenleer. Im Raubdezernat stieß er auf einen schlafenden Kollegen. Er weckte ihn und fragte, was los sei. Der Beamte sagte, im Keller gebe es eine Party, und wenn er wolle, könne er teilnehmen. Als Lalo ging, war der Beamte schon wieder eingeschlafen. Schon auf der Treppe roch er den Alkohol. In einer der Zellen hatte man zwanzig Leute zusammengepfercht. Er starrte sie an. Einige der Verhafteten schliefen im Stehen. Einer stand an die Gitterstäbe gepresst mit aufgeknöpfter Hose da. Die hinteren bildeten eine unförmige Masse aus Dunkelheit und Haaren. Es roch nach Erbrochenem. Der Verschlag konnte nicht größer sein als fünf mal fünf Meter. Auf dem Gang sah er Epifanio, der mit einer Zigarette zwischen den Lippen zusah, was in den anderen Zellen vorging. Er trat zu ihm, um ihm zu sagen, dass diese Leute noch ersticken oder sich erdrücken würden, aber kaum hatte er einen Schritt getan, als es ihm die Sprache verschlug. In den anderen Zellen vergewaltigten die Polizisten die Nutten aus dem La Riviera. Na, Lalito, sagte Epifanio, auch mal mit reinhalten? Nein, sagte Lalo Cura, und du? Nein danke, sagte Epifanio. Als sie es satt hatten, zuzuschauen, gingen sie hinaus auf die Straße, um frische Luft zu schnappen. Was haben diese Prostituierten getan?, fragte Lalo. Offenbar haben sie eine Kollegin abserviert, sagte Epifanio. Lalo Cura schwieg. Die Brise, die um diese Zeit durch die Straßen von Santa Teresa fegte, war richtig frisch. Der Mond, von Narben übersät, leuchtete noch am Himmel.
    Zwei Kolleginnen von Leticia Contreras Zamudio wurden angeklagt, sie ermordet zu haben, obwohl es dafür außer ihrer Anwesenheit im La Riviera, als der Mord geschah, keine Beweise gab. Nati Gordillo war dreißig und kannte die Tote, seit sie im Nachtclub angefangen hatte. Zum Zeitpunkt der Tat befand sie sich auf der Toilette. Rubí Campos war einundzwanzig und erst seit fünf Monaten im La Riviera. Zum Zeitpunkt der Tat wartete sie auf Nati vor der Toilette, nur durch eine Tür von ihr getrennt. Beide, das stand fest, hatten ein sehr enges Verhältnis. Und man hatte erfahren, dass Rubí von Leticia zwei Tage vor ihrer Ermordung verbal angegriffen worden war. Eine Kollegin hatte Rubí sagen hören, Leticia werde ihr das büßen. Was die Beschuldigte nicht bestritt, sie erklärte nur, dass sie nie an Mord gedacht habe, lediglich an eine Tracht Prügel. Die beiden Prostituierten wurden nach Hermosillo überstellt, wo sie im Frauengefängnis Paquita Avendaño inhaftiert blieben, bis ihr Fall an einen anderen Richter fiel, der sich beeilte, sie freizusprechen. Insgesamt saßen sie zwei Jahre im Gefängnis. Bei ihrer Entlassung sagten sie, sie würden ihr Glück in DF versuchen, vielleicht gingen sie aber auch in die USA. Tatsache ist nur, dass man sie im Bundesstaat Sonora nie wieder sah.
    Die nächste Tote hieß Penélope Méndez Becerra. Sie war elf Jahre alt. Ihre Mutter arbeitete in der Maquiladora Interzone-Berny. Auch Penélopes fünf Jahre ältere Schwester war bei Interzone-Berny angestellt. Der vier Jahre ältere Bruder betätigte sich als Botenjunge und Laufbursche für eine Bäckerei unweit der Calle Industrial in der Siedlung Veracruz, wo sie wohnten. Sie war die Jüngste und die Einzige, die zur Schule ging. Vor sieben Jahren hatte der Vater die Familie

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