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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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schlaflose Nächte hindurch in Spielhöllen und Kneipen herumtreiben, sondern konnte zum Schlafen das Haus seines Freundes in der Calle Luciérnaga in der Siedlung Rubén Darío benutzen, der ihm einen Schlüssel gegeben hatte. Wider alle Erwartung war das Häuschen immer sauber, doch fehlte seiner schmucken Sauberkeit jegliche feminine Note: Es handelte sich um eine stoische Sauberkeit, eine, wie sie in Gefängnis- oder Klosterzellen herrscht, eine Sauberkeit, die mehr in Richtung Entbehrung als in Richtung Überfluss tendierte. Manchmal traf er bei seiner Rückkehr Demetrio Águila, der sich in der Küche einen Mokka kochte, dann setzten sie sich ins Wohnzimmer und plauderten. Durch die Unterhaltung mit dem Mexikaner wurde er ruhiger. Der Mexikaner erzählte von seiner Zeit als Cowboy auf der Triple-T-Ranch und von den zehn verschiedenen Arten, ein junges Wildpferd aufzuzäumen. Einmal fragte Harry, warum er nicht mit ihm nach Arizona gehe, und der Mexikaner erwiderte, das sei doch gleich, Arizona, Sonora, Neu-Mexiko, Chihuahua, alles das Gleiche, und Harry begann darüber nachzudenken und konnte ihm am Ende nicht zustimmen, aber es machte ihn traurig, Demetrio Águila zu widersprechen, und er sagte nichts. Ein anderes Mal zogen sie zusammen los, und der Mexikaner konnte sich aus direkter Nähe von den Methoden des Gringos überzeugen, dessen Härte ihm erst nicht gefiel, die er aber angemessen fand. In der Nacht, als Harry aus der Calle Luciérnaga zurückkehrte, fand er ihn noch wach, und während er in der Küche Kaffee kochte, sagte er, dass er glaube, seine letzte Spur habe sich in Luft aufgelöst. Demetrio Águila erwiderte nichts. Er servierte den Kaffee und briet Eier mit Speck. Schweigend begannen sie zu essen. Ich glaube nicht, dass sich etwas in Luft auflöst, sagte der Mexikaner. Es gibt Leute und auch Tiere und sogar Gegenstände, die manchmal den Eindruck erwecken, als wollten sie sich in Luft auflösen. Auch wenn du es nicht glauben magst, Harry, manchmal will ein Stein verschwinden, ich habe es selbst gesehen. Aber Gott lässt das nicht zu. Er lässt es nicht zu, weil er es nicht zulassen kann. Glaubst du an Gott, Harry? Ja, Señor Demetrio, sagte Harry Magaña. Dann vertrau auf Gott, er lässt nicht zu, dass sich irgendwas in Luft auflöst.
    In jenen Tagen ging Juan de Dios Martínez noch immer alle zwei Wochen mit der Ärztin Elvira Campos ins Bett. Manchmal kam es dem Kommissar wie ein Wunder vor, dass ihre Beziehung hielt. Es gab Schwierigkeiten, Missverständnisse, aber sie waren weiter zusammen. Im Bett, glaubte er, war die Anziehung wechselseitig. Nie hatte er eine Frau so begehrt, wie er sie begehrte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Leiterin ohne zu überlegen geheiratet. Ab und zu, wenn er sie lange nicht gesehen hatte, machte er sich Gedanken über die kulturelle Kluft, die sie trennte und in der er die hauptsächliche Schwierigkeit zwischen ihnen sah. Die Leiterin mochte Kunst; sie konnte zum Beispiel ein Bild sehen und wusste, wer es gemalt hatte. Die Bücher, die sie las, sagten ihm gar nichts. Die Musik, die sie hörte, löste bei ihm nur eine angenehme Schläfrigkeit aus, und schon bald hatte er nur noch Lust, einzuschlafen und auszuruhen, was er sich in ihrer Wohnung allerdings zu tun hütete. Sogar das Essen, das der Leiterin schmeckte, war anders als das Essen, das ihm schmeckte. Er versuchte sich auf die neue Situation einzustellen, und manchmal ging er in ein Plattengeschäft und kaufte Musik von Beethoven und Mozart, die er allein zu Hause anhörte. In der Regel schlief er dabei ein. Seine Träume jedoch waren sanft und glücklich. Er träumte, Elvira Campos und er würden in einer Berghütte leben. In der Hütte gab es weder Strom noch fließend Wasser oder sonst etwas, das an die Zivilisation erinnerte. Sie schliefen auf einem Bärenfell und deckten sich mit einem Wolfspelz zu. Und Elvira Campos lachte manchmal, lachte sehr laut, wenn sie hinaus in den Wald lief und er sie nicht sehen konnte.
    Lass uns die Briefe lesen, Harry, sagte Demetrio Águila. Ich lese sie dir so oft vor, wie es nötig ist. Der erste Brief war von einem alten Freund von Miguel, der jetzt in Tijuana lebte, obwohl der Umschlag keinen Absender trug, und enthielt eine Anhäufung von Erinnerungen an die glückliche Zeit, als sie noch zusammengewohnt hatten. Er sprach von Baseball, Bräuten, geklauten Autos, Schlägereien, Alkohol, und ganz nebenbei wurden mindestens fünf Straftaten erwähnt,

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