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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Magaña Demetrio Águila stand, zuckten sie lieber die Schultern. Wo können wir uns unterhalten? Gehen wir in eins der Zimmer, sagte Elsa ihm ins Ohr. Als sie schon die Treppe hinaufgingen, blieb Harry Magaña stehen und sagte zu Demetrio Águila, es sei nicht nötig, dass er mitkomme. Dann eben nicht, sagte Demetrio Águila und ging wieder hinunter. In Elsas Zimmer war alles rot, die Wände, die Bettdecke, die Laken, das Kopfkissen, die Lampe, die Glühbirnen, sogar die Hälfte der Fliesen. Durch das Fenster sah man auf das Gewühl von Madero-Norte, um diese Zeit ein Strom von Autos, die sich im Schritttempo vorwärtsbewegten, und Menschenmassen auf den Gehwegen zwischen Imbiss- und Getränkeständen und Billigrestaurants, die einen Preiskampf um ihre auf großen, ständig aktualisierten schwarzen Tafeln angeschlagenen Menüs führten. Als Harry Magaña sich wieder zu Elsa umdrehte, hatte sie sich Bluse und BH ausgezogen. Sie hatte wirklich ansehnliche Brüste, dachte er, aber an diesem Abend würde er nicht mit ihr schlafen. Nicht ausziehen, sagte er. Das Mädchen setzte sich aufs Bett und schlug die Beine übereinander. Hast du Zigaretten? fragte sie. Er zog eine Schachtel Marlboro aus der Tasche und bot ihr eine an. Feuer, sagte das Mädchen auf Englisch. Er riss ein Streichholz an und streckte es ihr hin. Die Augen von Elsa Fuentes waren von einem so hellen Braun, dass sie fast gelb aussahen, wie die Wüste. Dämliche Göre, dachte er. Dann fragte er sie nach Miguel Montes, wo er war, was er machte, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Du suchst also nach Miguel?, sagte die Nutte. Darf man erfahren, warum? Harry Magaña antwortete nicht: Er zog seinen Gürtel aus der Hose, rollte ihn um seine rechte Hand, so dass die Schnalle wie ein Glöckchen runterhing. Ich habe nicht viel Zeit, sagte er. Das letzte Mal habe ich ihn vor ein oder zwei Monaten gesehen, sagte sie. Wo hat er gearbeitet? Überall und nirgends. Er wollte eine Ausbildung machen, ich glaube, er besuchte eine Abendschule. Womit verdiente er sein Geld? Mit Gelegenheitsjobs, sagte das Mädchen. Lüg mich nicht an, sagte Harry Magaña. Das Mädchen schüttelte den Kopf und blies eine Rauchwolke zur Decke. Wo hat er gewohnt? Keine Ahnung, er ist ständig umgezogen. Der Gürtel pfiff durch die Luft und hinterließ eine rote Spur auf dem Arm der Nutte. Bevor sie schreien konnte, hielt Harry Magaña ihr den Mund zu und drückte sie aufs Bett. Wenn du schreist, bring ich dich um, sagte er. Als die Nutte wieder hochkam, blutete die Stelle am Arm. Beim nächsten Mal ist das Gesicht an der Reihe, sagte Harry Magaña. Wo hat er gewohnt?
    Die nächste Tote tauchte im August 1994 auf, in der Sackgasse Las Ánimas, fast am Ende, wo vier leere Häuser stehen, fünf, wenn man das der Toten mitzählt. Sie war keine Unbekannte, aber erstaunlicherweise wusste niemand ihren vollständigen Namen. In dem Haus, das sie seit drei Jahren allein bewohnte, fand man keinerlei persönliche Dokumente, nichts, das zu einer raschen Klärung ihrer Identität hätte beitragen können. Einige Leute wussten, dass sie Isabel hieß, aber alle Welt nannte sie La Vaca. Sie war eine stämmige Frau von einsfünfundsechzig, mit hellbrauner Haut und kurzem, krausem Haar. Sie musste etwa dreißig Jahre alt sein. Einige Nachbarn behaupteten, sie habe in einem Lokal in der Innenstadt oder in Madero-Norte angeschafft. Andere meinten, sie habe nie gearbeitet. Trotzdem konnte man nicht sagen, dass sie knapp bei Kasse war. Bei der Hausdurchsuchung fand man eine Speisekammer randvoll mit Konserven. Außerdem besaß sie einen mit Fleisch, Milch, Eiern und Gemüse bestückten Kühlschrank (den Strom zweigte sie wie fast alle Anwohner des Sträßchens illegal aus dem städtischen Stromnetz ab). Sie war eher offenherzig gekleidet, aber dass sie sich schamlos aufführte, konnte niemand behaupten. Sie hatte einen modernen Fernseher und einen Videoapparat, dazu mehr als sechzig Bänder, die meisten mit sentimentalen oder schwülstigen Filmen, die sie sich in den letzten Jahren ihres Lebens gekauft hatte. Hinter dem Haus gab es einen kleinen Patio voller Pflanzen, mit einem Hühnerkäfig in der Ecke, der neben dem Hahn zehn Hühner beherbergte. Der Fall wurde gleichzeitig Epifanio Galindo und Kommissar Ernesto Ortiz Rebolledo übertragen, denen Juan de Dios Martínez als Verstärkung zugeteilt wurde, was beiderseits auf wenig Begeisterung stieß. Wenn man versuchte, das Leben von La Vaca etwas genauer

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