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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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sie, dass sie tot war. Der Fall kam zu den Akten.
    Kurz darauf jedoch besuchte Kommissar Juan de Dios Martínez die Musiker in der Strafanstalt von Santa Teresa. Er brachte ihnen Zigaretten und ein paar Zeitschriften mit und fragte, wie es ihnen ginge. Wir können uns nicht beklagen, Chef, sagte El Mariachi. Der Kommissar sagte, er habe einige gute Freunde in dem Laden hier, und wenn sie wollten, könne er ihnen helfen. Und was wollen Sie dafür von uns?, fragte El Mariachi. Nur eine Information, sagte der Kommissar. Und was für eine Information? Nichts Großartiges. Ihr wart Freunde von La Vaca, enge Freunde. Ich stelle euch ein paar Fragen, ihr antwortet mir, und das war's. Schießen Sie los, sagte El Mariachi. Seid ihr mit La Vaca im Bett gewesen? Nein, sagte El Mariachi. Und du? Ich schon gar nicht, sagte El Cuervo. Teufel, sagte der Kommissar. Wie kann das sein? La Vaca hatte es nicht so mit Kerlen, war ja selbst fast ein Kerl, sagte El Mariachi. Kennt ihr ihren vollständigen Namen?, fragte der Kommissar. Woher denn, sagte El Mariachi, wir nannten sie La Vaca, und fertig. Teufel, ihr seid mir ja richtige Busenfreunde, sagte der Kommissar. Das ist die reinste Wahrheit, Chef, sagte El Mariachi. Und wisst ihr, woher sie ihr Geld hatte?, fragte der Kommissar. Genau das haben wir sie auch gefragt, Chef, sagte El Cuervo, um vielleicht noch ein paar Pesos rauszuholen, aber La Vaca hat dazu nie ein Wort gesagt. Und gab es keine Freunde, ich meine, außer euch und den alten Schachteln aus der Straße?, fragte der Kommissar. Doch, schon, einmal als wir mit meinem Wagen unterwegs waren, zeigte sie mir eine Freundin, sagte El Mariachi, ein Püppchen, das in einer Cafeteria arbeitete, kein großer Knüller, ziemlich dürr, aber La Vaca zeigte sie mir und fragte mich, ob ich schon mal so eine schöne Frau gesehen hätte. Ich sagte nein, damit sie nicht wütend wurde, aber in Wirklichkeit war sie nicht so der Knüller. Wie hieß sie?, fragte der Kommissar. Hat sie mir nicht verraten, sagte El Mariachi, sie hat mich ihr auch nicht vorgestellt.
    Während die Polizei noch an der Aufklärung des Mordes an La Vaca arbeitete, fand Harry Magaña das Haus, in dem Miguel Montes wohnte. An einem Samstagnachmittag begann er es zu überwachen. Als er nach zwei Stunden das Warten leid war, brach er die Tür auf und ging hinein. Das Haus hatte nur ein Zimmer, dazu Küche und Bad. An den Wänden hingen Fotos von Schauspielern und Schauspielerinnen aus Hollywood. Auf einem Regal standen, gerahmt, zwei Fotos von Miguel selbst, kein Zweifel, ein Junge mit einem braven Gesicht, ein hübscher Bursche, wie Frauen sie mögen. Er durchsuchte alle Schubladen. In einer fand er ein Scheckheft und ein Messer. Unter der Matratze einige Zeitschriften und Briefe. Er blätterte alle Zeitschriften durch. In der Küche entdeckte er unter einem Wandschrank einen Umschlag mit vier Polaroidfotos. Auf dem einen sah man ein Haus in der Wüste, ein bescheiden wirkendes Haus aus Lehmziegeln mit einem kleinen Vordach und zwei winzigen Fenstern. Neben dem Haus parkte ein allradgetriebener Lieferwagen. Auf dem zweiten sah man zwei Mädchen, die einander die Arme um die Schultern gelegt hatten und mit nach links geneigten Köpfen und einem ähnlichen Ausdruck von atemberaubender Selbstsicherheit in die Kamera schauten, als wären sie gerade auf diesem Planeten gelandet oder hätten bereits ihre Koffer zur Abreise gepackt. Das Foto war in einer belebten Straße entstanden, möglicherweise im Zentrum von Santa Teresa. Das dritte Foto zeigte ein kleines Flugzeug am Rand einer nicht asphaltierten Landebahn in der Wüste. Hinter der Maschine sah man einen Höhenzug. Die übrige Landschaft war flach, nur Sand und Gestrüpp. Das letzte Bild zeigte zwei Typen, die in die Kamera schauten und wahrscheinlich betrunken oder bekifft waren; sie trugen weiße Hemden, einer einen Hut und gaben einander die Hand, als wären sie dicke Freunde. Er suchte überall nach der Kamera, konnte sie aber nicht finden. Er steckte die Fotos, die Briefe und das Messer ein, und nachdem er die Wohnung noch einmal überprüft hatte, setzte er sich in einen Sessel und wartete. Miguel Montes kam weder in dieser noch in der folgenden Nacht zurück. Vermutlich hatte er Hals über Kopf verschwinden müssen oder vielleicht war er bereits tot, dachte er. Er fühlte sich niedergeschlagen. Zum Glück hatte er Demetrio Águila kennengelernt und musste seither nicht mehr in Pensionen oder Hotels wohnen oder sich

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