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Boden wälzte, was sie bei ihrem ersten Fernsehauftritt unbedingt vermeiden wollte. Aber die Trance ergriff mehr und mehr von ihr Besitz, sie spürte es in der Brust und an ihrem Puls, und es ließ sich auf keine Weise aufhalten, sosehr sie sich wehrte und schwitzte und Reinaldo anlächelte, der sie fragte, ob mit ihr alles in Ordnung sei, ob Florita wolle, dass man ihr ein Glas Wasser brächte, ob das Licht und die Scheinwerfer und die Hitze sie störten. Sie hatte Angst, zu sprechen, denn manchmal war es die Zunge, die als Erste von der Besessenheit erfasst wurde. Und obwohl sie es gern getan hätte, denn es wäre eine große Erholung gewesen, hatte sie Angst, die Augen zu schließen, denn genau in dem Moment, wo man die Augen schloss, sah man, was die Besessenheit sah, weshalb Florita die Augen offen und den Mund geschlossen hielt (wenn auch zu einem freundlichen, geheimnisvollen Lächeln verzogen) und dabei den Bauchredner anschaute, der abwechselnd sie und die Puppe ansah, als wenn er nichts begriffe, aber die Gefahr witterte, den Moment der ungebetenen und hinterher unverstandenen Offenbarung, der Art Offenbarung, die sich vor uns abspielt und nur die Gewissheit einer Leere hinterlässt, einer Leere, die sogar dem Wort, das sie enthält, entwischt. Und der Bauchredner wusste, wie gefährlich so etwas war. Gefährlich vor allem für Leute wie ihn, hochsensible Künstlerseelen mit noch unvernarbten Wunden. Und auch Florita sah, nachdem sie es leid war, den Bauchredner anzuschauen, Reinaldo an, der zu ihr sagte: Florita, fassen Sie sich ein Herz, seien Sie nicht so schüchtern, fühlen Sie sich in dieser Sendung wie zu Hause. Und etwas seltener schaute sie auch ins Publikum, wo einige Freundinnen von ihr saßen und an ihren Lippen hingen. Die Armen, dachte sie, welche Qualen müssen sie durchmachen. Und dann konnte sie nicht mehr und fiel in Trance. Sie schloss die Augen. Sie machte den Mund auf. Ihre Zunge begann zu arbeiten. Sie wiederholte, was sie schon gesagt hatte: Eine große Wüste, eine große Stadt im Norden des Bundesstaates, ermordete Mädchen, ermordete Frauen. Welche Stadt ist es? fragte sie sich. Na los doch, welche Stadt ist es? Ich will wissen, wie die satanische Stadt heißt. Sie dachte einen Moment nach. Es liegt mir auf der Zunge. Ich nehme kein Blatt vor den Mund, meine Damen, schon gar nicht in so einem Fall. Es ist Santa Teresa! Es ist Santa Teresa! Ich sehe es ganz deutlich. Dort ermorden sie die Frauen. Ermorden meine Töchter. Meine Töchter! Meine Töchter! schrie sie, während sie sich ein imaginäres Tuch über den Kopf zog, und Reinaldo spürte, dass ihm ein Schauer wie ein Aufzug den Rücken runterlief, oder rauf, oder beides gleichzeitig. Die Polizei unternimmt nichts, sagte sie nach ein paar Sekunden mit veränderter Stimme, viel tiefer und männlicher, die Scheißbullen unternehmen nichts, sie schauen nur zu, aber was schauen sie an, was? In diesem Moment versuchte Reinaldo, sie zur Besinnung und zum Schweigen zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Finger weg, du Flegel, sagte Florita. Der Gouverneur des Bundesstaates muss eingeschaltet werden, sagte sie mit der rauen Stimme. Das ist kein Witz. Der Herr José Andrés Briceño muss davon erfahren, muss erfahren, was man den Frauen und Mädchen in der schönen Stadt Santa Teresa antut. Eine Stadt, die nicht nur schön ist, sondern auch geschäftig und fleißig. Das Schweigen muss ein Ende haben, meine Freundinnen. Der Herr José Andrés Briceño ist ein guter und fähiger Mann und wird nicht zulassen, dass all diese Morde ungestraft bleiben. So viel Trägheit, so viel Zwielichtigkeit. Dann sagte sie mit Kleinmädchenstimme: Einige fahren in einem schwarzen Auto mit, aber überall werden Frauen ermordet. Dann sagte sie mit klangvoller Stimme: Wenigstens die Jungfrauen könnten sie verschonen. Daraufhin machte sie einen Satz, den die Kameras im Studio 1 des Fernsehsenders von Sonora perfekt einfingen, und fiel wie von einer Kugel getroffen zu Boden. Reinaldo und der Bauchredner eilten ihr zu Hilfe, aber als sie sie hochziehen wollten, jeder an einem Arm, brüllte Florita (noch nie hatte Reinaldo sie so erlebt, geradezu eine Erinnye): Fasst mich nicht an, ihr herzlosen Schufte! Kümmert euch nicht um mich! Habt ihr nicht verstanden, wovon ich rede? Dann stand sie auf, schaute ins Publikum, wandte sich an Reinaldo und fragte, was geschehen sei, entschuldigte sich gleich und schaute dabei direkt in die Kamera.
Damals entdeckte Lalo Cura
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