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Botschaft für die Zuschauer habe. Reinaldo wollte wissen, was für eine Botschaft, und sie sagte, etwas über Visionen, über den Mond, über Zeichnungen im Sand, über das, was sie zu Hause lese, in der Küche, am Küchentisch, wenn die Besucher fort waren, über die Zeitung, die Zeitungen, ihre Lektüren, die Schatten vor den Fenstern, die zu ihr hereinschauten und die keine Schatten waren und darum auch nicht schauten, sondern die Nacht, die Nacht, die manchmal hellwach zu sein scheint, kurz, Reinaldo verstand kein Wort, aber da er sie wirklich gern hatte, erwirkte er für sie in seiner nächsten Sendung einen kleinen Auftritt. Die Fernsehstudios befanden sich in Hermosillo, und manchmal kam das Signal klar in Santa Teresa an, andere Male trübten geisterhafte Schemen, Schnee und Rauschen das Bild. Beim ersten Auftritt von Florita Almada war es besonders schlimm, und kaum jemand in der Stadt sah sie, obwohl die Sendung Eine Stunde mit Reinaldo, zu der sie eingeladen war, zu den beliebtesten im Regionalfernsehen von Sonora zählte. Sie war nach einem Bauchredner aus Guayana an der Reihe, einem Autodidakten, der in DF, Acapulco, Tijuana und San Diego Erfolge gefeiert hatte und glaubte, seine Puppe sei ein lebendiges Wesen. Und so, wie er es empfand, sagte er es auch. Die verfluchte Puppe ist lebendig. Sie hat schon versucht, abzuhauen. Sie hat schon versucht, mich umzubringen. Aber ihre Händchen sind zu schwach, um einen Revolver oder ein Messer zu halten. Erwürgen kannst du ganz vergessen. Als Reinaldo erwähnte - wobei er direkt in die Kamera schaute und sein schlitzohriges Reinaldo-Lächeln aufsetzte - , dass in vielen Filmen mit Bauchrednern genau das passiere, also die Puppe gegen den Künstler rebelliere, erwiderte der Bauchredner aus Guayana mit der brüchigen Stimme des ewig Unverstandenen, das wisse er längst, er habe diese Filme auch gesehen, wahrscheinlich etliche mehr als Reinaldo und das Publikum, das gekommen sei, die Sendung live zu erleben, und er sehe dafür nur eine wirklich überzeugende Erklärung: Wenn es so viele Filme gebe, heiße das doch, dass die Rebellion der Bauchrednerpuppen viel verbreiteter sei als zunächst angenommen, mittlerweile wohl über die ganze Welt. Im Grunde wissen wir Bauchredner auf die eine oder andere Weise alle, dass unsere verfluchten Puppen, wenn die Emotionen nur einmal richtig hochkochen, zum Leben erwachen. Sie saugen es aus den Auftritten. Sie saugen es aus den Kapillargefäßen des Bauchredners. Sie saugen es aus dem Beifall. Und vor allem aus der Leichtgläubigkeit des Publikums! Stimmt's, Andresito? Stimmt. Und du bist brav, oder benimmst du dich manchmal wie der letzte Gassenjunge, Andresito? Brav, braver, bravissimo. Und du hast nie versucht, mich zu töten, Andresito? Niemals, niemals, niemals. Tatsächlich war Florita Almada durch das Unschuldsgebaren der Holzpuppe und das Zeugnis des Bauchredners, für den sie sofort große Sympathie empfand, sehr beeindruckt, und als sie an die Reihe kam, richtete sie zunächst einige aufmunternde Worte an ihn, unerachtet der heimlichen Signale von Reinaldo, der ihr zulächelte und zuzwinkerte, wie um ihr zu verstehen zu geben, dass der Bauchredner nicht ganz dicht sei und sie ihn nicht beachten solle. Aber Florita Almada beachtete ihn und erkundigte sich nach seiner Gesundheit und wie viele Stunden er schlafe und wie viele Mahlzeiten am Tag er wo einnehme, und obwohl der Bauchredner eher ironische Antworten gab, dabei das Publikum anschaute und auf seinen Beifall, seine flüchtige Sympathie spekulierte, war das für La Santa schon ausreichend, um ihm den Rat zu geben (mit einigem Nachdruck übrigens), er solle einen Akupunkteur aufsuchen, der sich auf Schädelakupunktur verstehe, ein ausgezeichnetes Verfahren bei Nervenleiden, die ihren Ursprung im zentralen Nervensystem haben. Dann sah sie, dass Reinaldo unruhig auf seinem Stuhl herumrutschte, und begann von ihrer letzten Vision zu erzählen. Sie sagte, sie habe tote Frauen und tote Mädchen gesehen. Eine Wüste. Eine Oase. Wie in den Filmen, in denen die französische Fremdenlegion und Araber vorkamen. Eine Stadt. Sie sagte, in der Stadt würden Mädchen ermordet. Während sie sprach und sich so genau wie nur möglich an ihre Vision zu erinnern versuchte, merkte sie, wie sie drauf und dran war, in Trance zu verfallen, und sie schämte sich sehr, denn manchmal, nicht immer, konnten diese Zustände außer Kontrolle geraten und damit enden, dass sich das Medium am
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