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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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im Kommissariat einige Bücher, die niemand las und die dazu bestimmt schienen, in den überquellenden oberen Regalen zwischen längst vergessenen Akten und Protokollen als Rattenfraß zu enden. Er nahm sie mit nach Hause. Es waren acht Bücher, und um nicht unbescheiden zu sein, nahm er zunächst drei: Techniken der polizeilichen Ausbildung von John C. Klotter, Der Informant in der polizeilichen Ermittlung von Malachi L. Harney und John C. Cross sowie Moderne Methoden der polizeilichen Ermittlung von Harry Södermann und John O'Connell. Eines Nachmittags erzählte er Epifanio davon, der ihm sagte, es handle sich um Bücher, die man ihnen aus DF und Hermosillo geschickt habe und die niemand las. So nahm er am Ende auch die restlichen fünf mit nach Hause. Das Buch, das ihm am besten gefiel (und das er als Erstes gelesen hatte), war Moderne Methoden der polizeilichen Ermittlung. Anders als der Titel erwarten ließ, war das Buch vor langer Zeit geschrieben worden. Die mexikanische Erstausgabe datierte von 1965. Bei seinem Exemplar handelte es sich um die zehnte Auflage von 1992. Im Vorwort zur vierten Auflage, das hier nachgedruckt worden war, beklagte Harry Södermann, dass der Tod seines lieben Freundes, des verewigten Chefinspektors John O'Connell, die ganze Last der Überarbeitung ihm aufgebürdet habe. Weiter unten hieß es: Bei der anstehenden Überarbeitung (des Buches) habe ich die Inspiration, die reiche Erfahrung und tatkräftige Unterstützung des verewigten Inspektors O'Connell bitter vermisst. Wahrscheinlich, dachte Lalo Cura, während er das Buch im nächtlichen Schein einer schwachen Glühbirne oder im Licht der ersten Sonnenstrahlen las, die durch sein offenes Fenster fielen, war auch Södermann selbst längst tot, und er würde es nie erfahren. Aber das war egal, ja, diese Ungewissheit bedeutete sogar einen zusätzlichen Ansporn für das Lesen. Und er las, und manchmal lachte er über das, was der Schwede und der Gringo schrieben, dann wieder war er starr vor Staunen, als hätte man ihm eine Kugel in den Kopf gejagt. Damals hatte die rasche Aufklärung des Mordes an Silvana Pérez die früheren polizeilichen Misserfolge teilweise in Vergessenheit geraten lassen, und in den Nachrichten des Regionalfernsehens und in der örtlichen Presse war darüber berichtet worden. Einige Polizisten waren zufriedener als gewöhnlich. In einem Café traf sich Lalo Cura mit einigen jungen, neunzehn, zwanzig Jahre alten Polizisten, die sich über den Fall unterhielten. Wie kann Llanos sie vergewaltigt haben, sagte einer, wenn er doch ihr Ehemann war? Die anderen lachten, aber Lalo Cura nahm die Frage ernst. Er hat sie vergewaltigt, weil er ihr Gewalt angetan, sie zu etwas gezwungen hat, was sie nicht wollte, sagte er. Sonst wäre es keine Vergewaltigung. Einer der jungen Polizisten fragte ihn, ob er Jura zu studieren gedenke. Willst du Jurist werden, Alter? Nein, sagte Lalo Cura. Die anderen schauten ihn an, als würde er sich absichtlich dumm stellen. Übrigens gab es im Dezember 1994 keine weiteren Morde an Frauen, zumindest wurden keine bekannt, und das Jahr ging friedlich zu Ende.
    Noch vor Ende des Jahres 1994 fuhr Harry Magaña nach Chucarit und machte das Mädchen ausfindig, das Miguel Montes Liebesbriefe schrieb. Sie hieß María del Mar Enciso Montes und war Miguels Cousine. Sie war achtzehn und seit ihrem zwölften Lebensjahr in ihn verliebt, war sehr zierlich und hatte von der Sonne gebleichtes, kastanienbraunes Haar. Sie fragte Harry Magaña, was er von ihrem Vetter wolle, und Harry sagte, er sei ein Freund von ihm, und sprach von Geld, das Miguel ihm eines Nachts geliehen habe. Das Mädchen stellte ihn daraufhin ihren Eltern vor, die einen kleinen Lebensmittelladen besaßen, in dem sie auch eingesalzene Fische verkauften, die sie direkt von den Fischern erwarben, wozu sie die ganze Küste von Huatabampo bis Los Médanos abfuhren, manchmal sogar noch weiter nach Norden, bis Isla Lobos, wo fast alle Fischer Indianer waren und Hautkrebs hatten, was ihnen nichts auszumachen schien, und wenn ihr Lieferwagen voll war, kehrten sie nach Chucarit zurück und besorgten das Einsalzen der Fische selbst. Harry Magaña mochte die Eltern von María del Mar. An diesem Abend blieb er zum Essen. Vorher aber fuhr er noch zusammen mit dem Mädchen durch den Ort, um irgendwo eine Kleinigkeit für die Eltern zu kaufen, die ihm so gastfreundlich die Türen ihres Hauses geöffnet hatten. Er fand kein Geschäft, nur eine Bar, in der

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