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weiter: Ich sehne mich nach nichts, es gibt nichts mehr, wonach ich weinen kann. (* Text aus Leopardi, Canti) An dieser Stelle und nach einem tiefen Seufzer sagte Florita Almada, man könne daraus Verschiedenes schließen. 1. Die Gedanken, die einen Hirten peinigen, können leicht ausarten, das liege in der Natur des Menschen. 2. Es erfordert Mut, dem Überdruss Auge in Auge gegenüberzustehen, und genau das habe Benito Juárez getan, und beide hätten im Angesicht des Überdrusses fürchterliche Dinge gesehen, von denen sie lieber schweige. 3. Das Gedicht, wie ihr jetzt wieder einfiel, handele gar nicht von einem mexikanischen, sondern von einem asiatischen Hirten, was hier aber egal sei, da die Hirten überall gleich seien. 4. Zwar stimme es, dass sich am Ende allen Strebens ein unermesslicher Abgrund auftue, sie aber für den Anfang zwei Dinge empfehle, erstens, die Leute nicht zu betrügen, zweitens, sie anständig zu behandeln. Über alles andere könne man reden. Und das war es, was sie tat, zuhören und reden, bis zu dem Tag, da Reinaldo sie zu Hause besuchte, um sie wegen einer Liebe um Rat zu fragen, die ihn verlassen hatte, und er ging fort mit einer Schlankheitsdiät und Kräutern für die Zubereitung eines Beruhigungstees sowie aromatischen Kräutern, um sie in den Ecken seiner Wohnung zu verstecken, die dadurch wie eine Kirche und zugleich wie ein Raumschiff duftete, so Reinaldo zu den Freunden, die ihn besuchen kamen, ein göttlicher Geruch, ein Geruch, der die Seele frei und fröhlich machte, dass man glatt Lust bekam, klassische Musik zu hören, findet ihr nicht? Von da an bestürmten ihn die Freunde, er solle ihnen Florita vorstellen. Ach, Reinaldo, ich brauche Florita Almada, erst einer, dann noch einer und noch einer, wie eine Prozession von Büßern mit ihren braunen oder knallroten oder karierten Kapuzen, und Reinaldo überschlug die Vor- und Nachteile, die das für ihn haben konnte, na gut, Jungs, ihr habt mich überredet, ich werde euch Florita vorstellen, und als Florita sie eines Samstagabends in Reinaldos Wohnung traf, die er anlässlich ihres Besuchs etwas zurechtgemacht hatte, sogar mit einer Piñata voller Früchte und Süßigkeiten, die unpassenderweise auf der Terrasse hing, machte sie kein ärgerliches oder missmutiges Gesicht, sagte vielmehr, so viele Umstände nur wegen mir, diese Kanapees, ein Gedicht, wem darf ich dafür gratulieren? Und der Kuchen, köstlich, so etwas habe sie noch nie gegessen, mit Ananas, wirklich? Und selbstgepresster Saft, ganz frisch, und der Tisch tadellos gedeckt, was seid ihr für wunderbare Jungs, was seid ihr für wohlerzogene Jungs, sogar Geschenke habt ihr mir mitgebracht, dabei habe ich doch gar nicht Geburtstag, und dann ging sie in Reinaldos Schlafzimmer, und einer nach dem anderen ging hinein und erzählte ihr seinen Kummer, und wo Kummer war, schien Hoffnung auf, diese Frau ist ein Juwel, Reinaldo, diese Frau ist eine Heilige, ich begann zu weinen, und sie hat mit mir geweint, ich fand keine Worte, und sie erriet meine Nöte, mir empfahl sie die Einnahme von Glucosinolaten, die das Nierenepithel stimulieren und eine abführende Wirkung haben sollen, mir hat La Santa eine hydrotherapeutische Behandlung des Grimmdarms empfohlen, ich habe sie Blut schwitzen sehen, ich sah lauter Rubine auf ihrer Stirn, mich zog sie an ihren Busen und sang mir ein Schlaflied, und als ich erwachte, fühlte ich mich wie nach einem Saunagang, niemand versteht die Unglücklichen von Hermosillo besser als La Santa, La Santa hat ein Händchen für die Beleidigten, für die sensiblen und misshandelten Kinder, für die Vergewaltigten und Erniedrigten, für die Verhöhnten und Verlachten, für alle hat sie ein liebes Wort, einen praktischen Rat, Witzfiguren fühlen sich wie Diven, wenn sie mit ihnen spricht, die Blöden fühlen sich klar im Kopf, Dicke sehen ihre Pfunde schwinden, Aidskranke lächeln. Es dauerte daher nur wenige Jahre, bis die heißgeliebte Florita Almada in einer Fernsehsendung auftrat. Als Reinaldo sie das erste Mal fragte, hatte sie noch abgelehnt, sie hätte kein Interesse, sie hätte keine Zeit, nachher käme jemand auf die Idee, sie zu fragen, woher sie ihr Geld habe, und sie werde den Teufel tun und Steuern zahlen! Sie sollten das auf ein andermal verschieben, sie sei nichts Besonderes. Monate später, als Reinaldo schon nicht mehr auf der Sache herumritt, war sie es, die ihn anrief und sagte, sie würde gern in seiner Sendung auftreten, weil sie eine
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