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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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der Nacht von Estrellas Verschwinden war er mit seiner Frau und seinen drei Kindern zu Hause gewesen. Die anderen vier hatten mehr oder weniger solide Alibis, vor allem hatte keiner von ihnen ein Auto. Er sprach noch einmal mit Rosa María Medina. Diesmal wartete er vor ihrem Haus auf sie. Als das Mädchen kam, fragte es ihn entrüstet, warum er nicht geklingelt habe. Ich habe geklingelt, sagte Epifanio, deine Mutter hat mir aufgemacht und mich zu einer Tasse Kaffee eingeladen, aber dann musste sie zur Arbeit, und ich habe hier auf dich gewartet. Das Mädchen bat ihn herein, aber Epifanio wollte lieber draußen sitzen bleiben, angeblich weil es dort nicht so warm war wie drinnen. Er fragte, ob sie rauche. Das Mädchen blieb erst neben ihm stehen, dann setzte es sich auf einen flachen Stein und sagte, es rauche nicht. Epifanio betrachtete den Stein: Er war interessant geformt, wie ein Stuhl, nur ohne Lehne, und die Tatsache, dass die Mutter oder jemand aus der Familie ihn hier in diesem Vorgärtchen aufgestellt hatte, zeugte von gutem Geschmack und sogar Feingefühl. Er fragte das Mädchen, wo sie diesen Stein herhätten. Mein Papa hat ihn gefunden, sagte Rosa María Medina, in Casas Negras, und er hat ihn eigenhändig hierhergeschafft. Dort hat man auch Estrella gefunden, sagte Epifanio. An der Straße, sagte das Mädchen und schloss die Augen. Mein Vater hat den Stein wirklich in Casas Negras gefunden, auf einem Fest, und hat sich in ihn verliebt. So war er. Dann sagte sie, ihr Vater sei gestorben. Wann?, wollte Epifanio wissen. Vor etlichen Jahren, sagte das Mädchen mit unbewegter Miene. Er zündete sich eine Zigarette an und sagte, sie solle ihm noch einmal in ihren Worten erzählen, wie sie mit Estrella und der anderen, wie hieß sie? Rosa Márquez, sonntags ausgegangen sei. Das Mädchen begann zu erzählen und blickte dabei unverwandt auf die kleinen Blumentöpfe, die ihre Mutter in dem winzigen Vorgarten hegte, nur manchmal schaute sie zu ihm auf, wie um abzuschätzen, ob das, was sie erzählte, etwas taugte oder nur Zeitverschwendung war. Als sie geendet hatte, war Epifanio nur eine Sache klargeworden: Dass sie nicht nur sonntags, sondern manchmal auch montags oder donnerstags ins Kino oder zum Tanzen gingen, alles hing von den Schichten in der Maquiladora ab, die flexibel waren und Produktionsplänen gehorchten, die sich dem Verständnis der Arbeiter entzogen. Daraufhin änderte er seine Fragen und wollte wissen, wie sie sich zum Beispiel dienstags amüsierten, wenn das ihr freier Tag in der Woche war. Der Ablauf sei ähnlich, sagte das Mädchen, wenn auch in mancher Hinsicht etwas besser, da die Läden in der Innenstadt anders als an Sonn- und Feiertagen alle geöffnet hätten. Epifanio hakte nach. Er wollte wissen, welches, abgesehen vom Rex, ihr Lieblingskino sei, welche anderen Kinos sie besucht hätten, ob irgendwo jemand Estrella angesprochen habe, zu welchen Geschäften es sie gezogen hätte, auch wenn sie nicht hineingegangen seien, sondern nur vor den Schaufenstern standen, in welchen Cafeterias sie gesessen hätten und wie die hießen, ob sie hin und wieder in eine Diskothek gegangen seien. Das Mädchen sagte, in einer Diskothek seien sie nie gewesen, Estrella mochte diese Läden nicht. Aber du schon, sagte Epifanio. Du und deine kleine Freundin Rosa Márquez. Das Mädchen vermied seinen Blick und sagte, sie seien manchmal, wenn sie ohne Estrella ausgingen, in die Diskotheken im Zentrum gegangen. Und Estrella? Estrella hat euch nie begleitet? Nie, sagte das Mädchen. Estrella wollte mehr über Computer erfahren, wollte lernen, wollte vorankommen. Immer nur Computer, Computer, ich glaub kein Wort von dem, was du mir da auftischst, Püppi, sagte Epifanio. Ich bin nicht Ihre verdammte Püppi, sagte das Mädchen. Einige Zeitlang sagte keiner etwas. Epifanio lachte kurz, zündete sich eine Zigarette an und verfolgte, vor dem Hauseingang sitzend, das Kommen und Gehen der Leute. Es gibt einen Laden, sagte das Mädchen, ich weiß nicht mehr genau wo, irgendwo im Zentrum, einen Computerladen. Da sind wir ein- oder zweimal gewesen. Rosa und ich haben draußen gewartet, sie ging allein hinein und unterhielt sich mit einem Typen, der sehr groß war, aber richtig groß, viel größer als Sie. Der Typ war groß, und sonst? Groß und blond, sagte das Mädchen. Und sonst? Na ja, zuerst wirkte Estrella begeistert, ich meine, als sie das erste Mal dort war und mit diesem Mann sprach. Sie sagte, er sei der

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