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González ihrem Beispiel, bis er darauf kam, dass sie im Grunde nur deswegen mit keiner schliefen, weil sie das bereits getan hatten, seit vielen Jahren, mit allen, und weil sie nicht in dem Alter waren, wo man mit Geld um sich wirft. Also folgte er ihrem Beispiel nicht länger, suchte sich eine hübsche, junge Nutte und ging mit ihr in ein Hotel um die Ecke. Einmal fragte er einen der älteren Journalisten, was er von den Frauenmorden im Norden halte. Der Reporter erwiderte, das sei Drogenhändlergebiet, mit Sicherheit gebe es dort nichts, was nicht auf die eine oder andere Weise mit dem Drogenhandel zusammenhänge. Das schien ihm eine triviale Antwort, die jeder hätte geben können, und ab und zu fiel sie ihm wieder ein, als wollte ihm die Antwort des Mannes trotz ihrer Trivialität oder Banalität nicht aus dem Kopf gehen und ihn auf etwas aufmerksam machen. Seine wenigen Schriftstellerfreunde, die, die ihn in der Kulturredaktion aufsuchten, hatten keinen Schimmer von dem, was in Santa Teresa geschah, obwohl die Nachrichten von den Morden nach und nach durchsickerten, und Sergio nahm an, dass ihnen wahrscheinlich ziemlich egal war, was in jenen fernen Landesteilen vor sich ging. Die Kollegen aus der Zeitung, auch die vom Boulevardteil, schienen ebenfalls nicht interessiert. Eines Nachts, nachdem er mit einer Prostituierten geschlafen hatte und sie rauchend nebeneinander auf dem Bett lagen, fragte er sie, was sie von den vielen Entführungen und in der Wüste tot aufgefundenen Frauen halte, und sie sagte, dass sie darüber nichts Genaues wisse. Daraufhin erzählte er ihr alles, was er über die Morde wusste, und berichtete von seiner Reise nach Santa Teresa und warum er sie unternommen hatte, dass er damals Geld brauchte, weil er frisch geschieden war, und dann sprach er von den Toten, von denen er aus den Zeitungen und den Presseerklärungen einer Frauenorganisation erfahren hatte, an deren Kürzel er sich noch erinnerte, FSDF, obwohl er vergessen hatte, wofür es stand. Frauen von Sonora für Demokratie und Freiheit? Und während er erzählte, musste die Nutte gähnen, nicht weil es sie nicht interessierte, was er erzählte, sondern weil sie müde war, doch weckte sie damit Sergios Zorn, der verbittert sagte, in Santa Teresa würden Prostituierte ermordet, und etwas kollegiale Solidarität könne man doch wohl erwarten, worauf die Nutte erwiderte, keineswegs, so wie man ihr die Sache erzählt habe, seien es Arbeiterinnen, die ermordet würden, nicht Prostituierte. Arbeiterinnen, Arbeiterinnen, sagte sie. Da bat Sergio sie um Verzeihung und sah wie vom Blitz beschienen einen Aspekt der Situation, der ihm bislang entgangen war.
Der September hielt für die Bewohner von Santa Teresa noch weitere Überraschungen bereit. Drei Tage nach dem Fund der verstümmelten Leiche von Marisa Hernández Silva wurde an der Straße von Santa Teresa nach Cananea die Leiche einer Unbekannten entdeckt. Die Tote war etwa fünfundzwanzig Jahre alt und besaß eine angeborene Fehlstellung der rechten Hüfte. Es gab jedoch niemanden, der sie vermisste, und niemanden, den der Hinweis auf diese Verkrüppelung in der Presse veranlasst hätte, sich bei der Polizei zu melden und zur Klärung ihrer Identität beizutragen. Die Leiche wurde mit gefesselten Händen gefunden, wozu der Riemen einer Damenhandtasche benutzt worden war. Man hatte ihr das Genick gebrochen, und beide Arme wiesen Schnittverletzungen auf. Aber am auffallendsten war, dass ihr wie der jungen Marisa Hernández Silva eine Brust amputiert und die Brustwarze der anderen brutal abgebissen worden war.
Am selben Tag, da man die Unbekannte an der Straße nach Cananea fand, entdeckten die städtischen Angestellten, die die Müllkippe El Chile abzutragen versuchten, eine stark verweste Frauenleiche. Die Todesursache ließ sich nicht feststellen. Sie hatte schwarze, lange Haare und trug eine helle Bluse mit dunklem Muster, das durch die Verwesung unkenntlich geworden war, dazu eine Jeans der Marke Jokko. Niemand meldete sich bei der Polizei mit Hinweisen, die zur Klärung ihrer Identität hätten beitragen können.
Ende September wurde an der Ostflanke des Cerro Estrella die Leiche eines dreizehnjährigen Mädchens gefunden. Wie bei Marisa Hernández Silva und der Unbekannten von der Straße von Santa Teresa nach Cananea hatte man ihr die rechte Brust amputiert und die Brustwarze der linken abgebissen. Sie trug Jeans von guter Qualität der Marke Lee, einen Sweater und eine rote
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