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Computerexperte, der seinen eigenen Laden aufgemacht hat. Er sagte das mit so viel Ernst und Überzeugung, dass einige der Häftlinge nickten. Dann wollte Haas wissen, was sie draußen machten, und die meisten mussten lachen. Wir sind nur hier, war der einzige Satz, den er verstand. Auch er begann zu lachen und lud die fünf oder sechs Leute um ihn herum ein, etwas zu trinken.
Als er das erste Mal duschen ging, wollte ein Typ, den sie El Anillo nannten, ihn vergewaltigen. Der Typ war groß, aber verglichen mit Haas wirkte er klein, und seinem Gesicht war abzulesen, dass er das nur tat, weil ihn die Umstände zwangen, diese Rolle zu übernehmen. Wenn es nach ihm ginge, sagte sein Gesicht, hätte er sich in seiner Zelle gemütlich einen runtergeholt. Haas sah ihn scharf an und fragte, wie es sein könne, dass sich ein erwachsener Mann so benehme. El Anillo verstand nichts und lachte. Er hatte ein breites, bartloses Gesicht, und sein Lachen war nicht unsympathisch. Die Häftlinge um ihn herum lachten ebenfalls. El Anillo Freund, ein jüngerer Häftling namens Guajolote, zog unter seinem Handtuch einen Eispickel hervor und sagte, er solle die Schnauze halten und mit ihnen in eine Ecke gehen. In eine Ecke?, sagte Haas. In eine beschissene Ecke? Zwei von Haas' neuen Freunden aus dem Hof traten hinter Guajolote und hielten ihm die Arme fest. Haas war entrüstet. El Anillo lachte wieder und sagte, das sei doch halb so wild. In einer Ecke ist halb so wild?, schrie Haas. In einer Ecke wie die Hunde ist halb so wild? Ein anderer Freund von Haas stellte sich an die Tür, so dass niemand rein oder raus konnte. Er soll dir einen blasen, Gringo, schrie einer der Häftlinge, der Scheißkerl soll ihn dir lutschen, Gringo. Sofort. Zieh ihn durch. Die Stimmen der Häftlinge wurden lauter. Haas entwand Guajolote den Eispickel und befahl Anillo, auf alle viere zu gehen. Wenn du nicht zitterst, Dreckskerl, passiert dir nichts. Wenn du zitterst oder Angst kriegst, hast du zwei Löcher zum Scheißen. El Anillo ließ das Handtuch fallen und ging runter auf alle viere. Nicht hier, sagte Haas, unter der Dusche. El Anillo stand auf, ging mit gleichgültiger Miene unter das Wasser. Das lockige, nach hinten gekämmte Haar fiel ihm über die Augen. Disziplin, ihr Ärsche, ich verlange nur ein wenig Disziplin und Respekt, sagte Haas, als er seinerseits die Duschen betrat. Dann kniete er sich hinter El Anillo, raunte ihm zu, er solle schön die Beine breit machen, und trieb ihm den Eispickel langsam bis zum Anschlag ein. Einige konnten sehen, dass Anillo von Zeit zu Zeit einen leisen Schrei unterdrückte. Andere, dass aus Anillos After einige Tropfen sehr dunklen Bluts rannen, die sich in Sekundenschnelle im Wasser auflösten.
Haas' Freunde hießen El Tormenta, El Tequila und El Tutanramón. El Tormenta war zweiundzwanzig und saß wegen Mordes am Leibwächter eines Drogenhändlers, der sich an seiner Schwester vergreifen wollte. Zweimal hatte man ihn im Gefängnis umzubringen versucht. El Tequila war dreißig und HIV-positiv, obwohl das nur wenige wussten, da die Krankheit noch nicht ausgebrochen war. El Tutanramón war achtzehn und verdankte seinen Spitznamen einem Film. Sein richtiger Name lautete Ramón, aber er hatte mehr als dreimal Aureds Die Rache der Mumie gesehen, seinen Lieblingsfilm, und seine Freunde - vielleicht auch er selbst, vermutete Haas - hatten ihn El Tutanramón getauft. Haas hielt sie bei Laune, indem er ihnen Konserven und Drogen kaufte. Sie erledigten für ihn Aufträge oder dienten ihm als Leibwächter. Manchmal hörte Haas ihnen zu, wenn sie von sich sprachen, von ihren Geschäften, ihren Familienangelegenheiten, davon, wonach sie sich am meisten sehnten und wovor sie sich am meisten fürchteten, und er verstand nichts. Sie kamen ihm vor wie Außerirdische. Dann wieder war es Haas, der redete, und seine drei Freunde hörten ihm andächtig schweigend zu. Haas sprach von Selbstbeherrschung, Eigeninitiative, Selbsthilfe, das Schicksal der Individuen liege in den Händen jedes Einzelnen, wenn ein Mensch es sich vornehme, könne er ein Lee Iacocca werden. Sie hatten keine Ahnung, wer Lee Iacocca war. Sie vermuteten, es handle sich um einen Mafiaboss. Aber sie fragten nicht nach, weil sie Angst hatten, Haas könne den Faden verlieren.
Als Haas in den Trakt mit den Gemeinschaftszellen verlegt wurde, kam der Drogenhändler zu ihm, um sich zu verabschieden, worüber Haas gerührt und dankbar war. Wenn du ein Problem hast, gib mir
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