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Muñoz Sanjuán gefunden. Ihr Körper war vollständig nackt, und es gab Spuren, die darauf hindeuteten, dass man sie erwürgt und vergewaltigt hatte, was der Gerichtsmediziner später bestätigte. Erste Ermittlungen brachten ihre Identität ans Licht. Das Opfer hieß Ana Muñoz Sanjuán und lebte in der Calle Maestro Caicedo, Siedlung Rubén Darío, wo sie sich das Haus mit drei anderen Frauen teilte. Ana Muñoz Sanjuán war achtzehn und arbeitete als Kellnerin in der Cafeteria El Gran Chaparral in der Altstadt von Santa Teresa. Ihr Verschwinden war der Polizei nicht gemeldet worden. Zuletzt hatte man sie mit drei Männern gesehen, die unter den Spitznamen El Mono, El Tamaulipas und La Vieja bekannt waren. Die Polizei versuchte, sie ausfindig zu machen, aber es schien, als hätte der Erdboden sie verschluckt.
Von wem wird Albert Kessler eingeladen?, fragten sich die Journalisten. Wer wird für die Dienste des Herrn Kessler bezahlen? Und wie viel? Die Stadt Santa Teresa, der Staat Sonora? Woher wird das Geld für die Honorare des Herrn Kessler kommen? Von der Universität von Santa Teresa, aus den schwarzen Kassen der Kriminalpolizei? Steckt Geld von Privatleuten in der Sache? Stehen irgendwelche Mäzene hinter dem Besuch des US-amerikanischen Star-Ermittlers? Und warum engagiert man jetzt, ausgerechnet jetzt einen Experten für Serienmorde, warum nicht schon früher? Gibt es in Mexiko etwa keine Kriminologen, die in der Lage sind, mit der Polizei zusammenzuarbeiten? Ist Professor Silverio García Correa, beispielsweise, nicht gut genug? War er etwa nicht der Beste seines Jahrgangs in Psychologie an der UNAM? Hat er nicht einen Master in Kriminologie von der New Yorker Universität und einen zweiten von der Universität von Stanford? Wäre es nicht billiger gewesen, Professor García Correa zu verpflichten? Wäre es nicht patriotischer gewesen, einen Mexikaner mit einer mexikanischen Angelegenheit zu betrauen als einen US-Amerikaner? Apropos, spricht Ermittler Albert Kessler eigentlich Spanisch? Und wenn nicht, wer dolmetscht für ihn? Bringt er seinen eigenen Dolmetscher mit oder gibt man ihm einen von hier?
Haas sagte: Ich habe nachgeforscht. Er sagte: Ich habe Hinweise erhalten. Er sagte: Im Gefängnis erfährt man alles. Er sagte: Die Freunde der Freunde sind auch deine Freunde und erzählen so manches. Er sagte: Die Freunde der Freunde der Freunde kommen viel herum und sie tun dir den einen oder anderen Gefallen. Niemand lachte. Chuy Pimentel schoss weiter seine Fotos. Sie zeigen die Anwältin, die so aussieht, als würde sie jeden Moment losheulen. Vor Wut. Die Blicke der Journalisten sind die Blicke von Reptilien: Sie beobachten Haas, der die grauen Wände anschaut, als hätte er seinen Text in den bröckelnden Beton geschrieben. Den Namen, sagte einer der Journalisten, flüsternd, aber laut genug, damit alle es mitbekamen. Haas hörte auf, die Wand anzuschauen, und sein Blick fasste den Sprecher ins Auge. Statt direkt zu antworten, erklärte er einmal mehr seine Unschuld an der Ermordung von Estrella Ruiz Sandoval. Ich habe sie nicht gekannt. Dann schlug er die Hände vors Gesicht. Ein hübsches Mädchen, sagte er. Hätte ich sie doch gekannt. Ihm ist übel. Vor seinem inneren Auge sieht er eine abendliche Straße voller Menschen, die sich harmonisch leert, bis niemand mehr da ist, nur ein an der Ecke parkender Wagen. Dann bricht die Nacht herein, und Haas spürt die Finger der Anwältin auf seiner Hand. Zu dicke, zu kurze Finger. Den Namen, sagt ein anderer Journalist, ohne den Namen kommen wir kein Stück weiter.
Im September fand man auf einer Brachfläche in der Siedlung Sur die in eine Decke und in schwarze Plastiktüten gewickelte, nackte Leiche von María Estela Ramos. Ihre Füße waren mit einem Kabel gefesselt, und sie zeigte Spuren von Folter. Den Fall übernahm Kommissar Juan de Dios Martínez, der feststellte, dass die Leiche Freitagnacht zwischen null Uhr und ein Uhr dreißig auf der Brachfläche abgelegt worden war, denn in der übrigen Zeit hatten Drogenhändler und ihre Kunden das Gelände als Umschlagplatz genutzt, außerdem Jugendgangs, die sich dort trafen, um Musik zu hören. Nach Abgleich verschiedener Aussagen stand fest, dass sich, aus welchem Grund auch immer, zwischen Mitternacht und halb zwei Uhr morgens niemand dort aufgehalten hatte. María Estela Ramos wohnte in der Siedlung Veracruz, und die Gegend lag auf keinem ihrer Wege. Sie war dreiundzwanzig, hatte einen vierjährigen
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