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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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stimmt's? Bei Gott, ja, sagte José Patricio. Nun, wenn diese Vorstellungen in mir miteinander sprachen, habe ich zwar nicht die Worte verstanden, aber mir war deutlich bewusst, dass ihre Freude und ihr Schmerz groß waren, sagte Florita. Wie groß denn?, fragte Sergio. Florita sah ihm in die Augen. Sie öffnete die Tür. Er konnte spüren, wie die Nacht von Sonora wie ein Gespenst seinen Rücken berührte. Unermesslich, sagte Florita. Als wenn sie wüssten, dass sie straflos ausgehen würden? Nein, nein, mit Straflosigkeit hat das gar nichts zu tun.
    Am ersten Juni kam die fünfzehnjährige Sabrina Gómez Demetrio mit zahlreichen Stichverletzungen und zwei Kugeln im Rücken zu Fuß ins IMSS-Krankenhaus Gerardo Regueira. Sie wurde sofort in die Notaufnahme eingeliefert, wo sie nach wenigen Minuten verstarb. Sie sagte nicht viel, bevor sie starb. Sie nannte ihren Namen und die Straße, wo sie mit ihren Brüdern und Schwestern wohnte. Sie sagte, sie sei in einem Suburban eingeschlossen gewesen. Sie sprach von einem Mann mit einem Gesicht wie ein Schwein. Eine der Schwestern, die versuchten, ihre Blutungen zu stoppen, fragte, ob der Mann sie entführt habe. Sabrina Gómez sagte, sie bedaure, ihre Geschwister nie wiederzusehen.
    Im Juni berief Klaus Haas telefonisch eine Pressekonferenz in der Strafanstalt von Santa Teresa ein, an der sechs Journalisten teilnahmen. Seine Anwältin hatte von der Konferenz abgeraten, aber Haas schien in jenen Tagen seine bislang zur Schau gestellte Nervenstärke verloren zu haben und wollte keinen einzigen Einwand gegen seinen Plan hören. Ebenso wenig, so die Anwältin, verriet er ihr das Thema der Konferenz. Er sagte nur, er sei jetzt im Besitz einer Information, die ihm bislang gefehlt habe und die er der Öffentlichkeit mitteilen wolle. Die teilnehmenden Journalisten erwarteten keine neue Erklärung, erst recht nicht, dass er Licht in den dunklen Abgrund bringen würde, zu dem sich die regelmäßigen Funde toter Frauen in der Stadt oder in der Umgebung der Stadt oder in der Wüste, die Santa Teresa wie eine Eisenfaust umschlossen hielt, entwickelt hatten, aber sie gingen hin, weil Haas und die Morde trotz allem ihre Topmeldung war. Die großen Zeitungen aus der Hauptstadt entsandten keine Vertreter.
    Im Juni, wenige Tage nachdem Haas den Journalisten telefonisch eine nach eigenen Worten sensationelle Erklärung versprochen hatte, tauchte an der Hauptstraße nach Casas Negras die Leiche von Aurora Ibánez auf, die vor einigen Wochen von ihrem Ehemann vermisst gemeldet worden war. Aurora Ibánez war vierunddreißig und arbeitete in der Maquiladora Interzone-Berny; sie hatte vier Kinder im Alter zwischen vierzehn und drei Jahren und war seit ihrem sechzehnten Lebensjahr mit dem Mechaniker Jaime Pacheco Pacheco verheiratet, der zum Zeitpunkt des Verschwindens seiner Frau arbeitslos und ein Opfer des Personalabbaus bei Interzone-Berny war. Dem Obduktionsbericht zufolge handelte es sich um Tod durch Ersticken, und trotz des zeitlichen Abstands waren am Hals des Opfers noch die typischen Würgemale zu sehen. Ein Bruch des Zungenbeins lag nicht vor. Wahrscheinlich hatte man Aurora Ibánez vergewaltigt. Den Fall übernahm Kommissar Efraín Bustelo, unterstützt von Kommissar Ortiz Rebolledo. Nach ersten Ermittlungen im Umfeld des Opfers wurde Jaime Pacheco verhaftet, der, als man ihn einem Verhör unterwarf, die Tat gestand. Das Motiv, so Ortiz Rebolledo gegenüber der Presse, sei Eifersucht gewesen. Nicht auf einen bestimmten Mann, sondern auf alle Männer, mit denen seine Frau in Kontakt hätte kommen können, oder auf die Situation, die neu und unerträglich war. Der arme Pacheco dachte, seine Frau werde ihn verlassen. Auf die Frage, welches Transportmittel er benutzt habe, um mit seiner Frau unter falschem Vorwand bis Kilometer Dreißig der Hauptstraße nach Casas Negras zu fahren oder um sich, sofern er sie anderswo ermordet hätte, wozu Pacheco sich trotz der harten Verhörmethoden nicht äußern wollte, ihrer Leiche dort zu entledigen, sagte er, ein Freund habe ihm seinen Wagen geliehen, einen Coyote Baujahr 87, gelb mit rotem Flammendekor an der Seite, ein Freund, den die Polizei nicht ausfindig machen konnte oder nicht mit dem in solchen Fällen gebotenen Nachdruck gesucht hatte.
    Neben Haas, der starr geradeaus sah, als gingen ihm die Bilder einer Vergewaltigung durch den Kopf, saßen seine Anwältin und, im Kreis, die Reporter von El Heraldo del Norte, La Voz de Sonora, La Tribuna de

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