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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Santa Teresa, den drei örtlichen Tageszeitungen, sowie die von El Independiente de Phoenix, El Sonorense de Hermosillo und La Raza de Green Volley - einer schmalen, wöchentlich (manchmal auch vierzehntägig oder monatlich) erscheinenden Zeitung, die sich fast ohne Werbung über Wasser hielt, nur durch die Abonnements von einigen Chicanos der unteren Mittelschicht im Gebiet zwischen Green Valley und Sierra Vista, ehemaligen Tagelöhnern, die sich in Río Rico, Carmen, Tubac, Sonoita, Amado, Sahuarita, Patagonia und San Xavier niedergelassen hatten -, auf deren Seiten ausschließlich über Verbrechen berichtet wurde, je schrecklicher, desto besser. Nur ein Fotograf war gekommen, Chuy Pimentel von La Voz de Sonora, der sich hinter dem Kreis der Journalisten hielt. Von Zeit zu Zeit ging die Tür auf und ein Gefängniswärter erschien, der Haas oder die Anwältin anschaute, als wollte er fragen, ob sie etwas bräuchten. Einmal bat ihn die Anwältin, frisches Wasser zu bringen. Der Wärter nickte, kommt sofort, und verschwand. Nach einer Weile kam er mit zwei Flaschen Wasser und mehreren eisgekühlten Getränkedosen zurück. Die Journalisten dankten, und fast alle entschieden sich für eine Dose, nur Haas und seine Anwältin tranken lieber Wasser. Einige Minuten lang sagte niemand etwas, nicht die kleinste Bemerkung fiel, und alle tranken.
    Im Juli fand man in einem Abwasserkanal östlich der Siedlung Maytorena, in der Nähe einer Schotterpiste und einiger Strommasten, die Leiche einer Frau. Die Tote war zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt und dem Obduktionsbericht zufolge seit mindestens drei Monaten tot. Man hatte ihr die Hände auf den Rücken gefesselt, mit einer Plastikkordel, wie sie zum Verschnüren großer Pakete verwendet wird. An der linken Hand trug sie einen langen, schwarzen Handschuh, der bis zum Ellbogen reichte. Übrigens handelte es sich nicht um ein billiges Exemplar, sondern um ein Modell aus Samt, wie Nachtclubtänzerinnen sie tragen, aber auch nur solche, die einen gewissen Ruf genießen. Unter dem Handschuh fand man zwei Ringe, einen am Mittelfinger aus Münzsilber, einen zweiten am Ringfinger aus reinem Silber mit einer eingearbeiteten Schlange. Außerdem steckte ihr rechter Fuß in einem Herrenstrumpf der Marke Tracy. Das Erstaunlichste aber war: Um den Hals hing ihr wie ein seltsamer, aber nicht völlig undenkbarer Sombrero ein schwarzer BH von bester Qualität. Ansonsten war die Frau nackt und hatte nichts bei sich, was zu einer späteren Identifizierung beitragen konnte. Der Fall wurde nach Erledigung sämtlicher Formalitäten zu den Akten gelegt, und ihr Körper landete im Sammelgrab von Santa Teresa.
    Ende Juli lud die Stadtverwaltung von Santa Teresa in Kooperation mit der Staatsregierung von Sonora den Ermittler Albert Kessler in die Stadt ein. Als die Nachricht an die Öffentlichkeit kam, wurde Bürgermeister José Refugio de las Heras von Journalisten, vor allem von Journalisten aus DF, gefragt, ob man die Einladung des ehemaligen FBI-Agenten als stillschweigendes Eingeständnis werten dürfe, dass die mexikanische Polizei mit ihren Ermittlungen gescheitert sei. De las Heras erwiderte, nein, keineswegs, Herr Kessler werde nach Santa Teresa kommen, um einer ausgesuchten Gruppe der besten Polizeischüler von Sonora eine fünfzehnstündige Fortbildung angedeihen zu lassen, und wenn Santa Teresa gegenüber beispielsweise Hermosillo als Veranstaltungsort den Vorzug erhalten habe, dann abgesehen von seinem industriellen Höhenflug wegen der traurigen Episode mit den Serienmorden, ein in Mexiko bis dato unbekanntes oder fast unbekanntes Krebsgeschwür, dem sie, die Verantwortlichen des Staates, rechtzeitig Einhalt gebieten wollten, und gebe es eine bessere Methode, ein Krebsgeschwür auszumerzen, als die Ausbildung einer auf diesem Gebiet spezialisierten Polizei?
    Ich werde Ihnen sagen, wer Estrella Ruiz Sandoval ermordet hat, für deren Tod man zu Unrecht mich verantwortlich machen will, sagte Haas. Die Mörder sind dieselben, die noch mindestens dreißig andere junge Frauen aus dieser Stadt getötet haben. Die Anwältin senkte den Kopf. Chuy Pimentel schoss das erste Foto. Darauf sind die Gesichter der Journalisten zu sehen, die Haas anschauen oder ihre Notizbücher konsultieren, ohne die geringste Aufregung, ohne die geringste Begeisterung.
    Im September wurde hinter Müllcontainern in der Calle Javier Paredes, zwischen den Siedlungen Félix Gómez und Centro, die Leiche von Ana

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