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Polizistenrunde anstarrten und dann davonliefen. Als die Frau wiederkam, trug sie ein Tablett mit fünf Gläsern und einer Flasche Bacanora. Sie goss selbst ein und wartete auf Kesslers Meinung. Sehr gut, sagte der US-Detective, während ihm das Blut zu Kopf stieg. Sind Sie wegen der Toten hier, Señor Kessler?, fragte die Frau. Woher kennen Sie meinen Namen?, fragte Kessler. Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen. Außerdem habe ich Ihre Filme gesehen. Ach, meine Filme, sagte Kessler. Glauben Sie, Sie können den Morden ein Ende machen?, fragte die Frau. Schwer zu beantworten, ich werde es versuchen, das ist alles, was ich versprechen kann, sagte Kessler, und ein Beamter übersetzte für die Frau. Von ihrem Platz unter dem blau-weiß gestreiften Sonnensegel aus wirkte der Cerro Estrella wie ein Gipsgebilde. Die schwarzen Striemen mussten Müll sein. Die braunen Striemen Häuser oder Hütten, die sich in einem seltsamen, prekären Gleichgewicht hielten. Die roten Striemen vielleicht von Rost zerfressenes Eisen. Gut, dieser Bacanora, sagte Kessler, während er sich erhob und eine Zehndollarnote fallen ließ, die die Polizisten ihm umgehend zurückgaben. Hier sind Sie unser Gast, Herr Kessler. Es ist uns eine Ehre, Sie bei uns zu haben. Mit Ihnen auf Streife zu gehen. Fahren wir Streife?, fragte Kessler lächelnd. Die Frau sah vom hinteren Teil des Ladens ihrem Aufbruch zu, halb verdeckt wie eine Statue von einem blauen Vorhang, der die Küche oder was auch immer von den Tischen trennte. Wer hat all das Eisen auf den Cerro geschleppt?, dachte Kessler.
Und seit wann weißt du das alles, Klaus? Seit langem, sagte Haas. Und warum hast du es nicht früher gesagt? Weil ich die Information überprüfen musste, sagte Haas. Wie kannst du irgendetwas überprüfen, wenn du im Gefängnis sitzt?, fragte die Reporterin von El Independiente. Fangen wir nicht wieder damit an, sagte Haas. Ich habe meine Kontakte, habe Freunde, habe Leute, die alles spitzkriegen. Und was sagen deine Informanten, wo die Uribes jetzt sind? Sie sind vor sechs Monaten verschwunden, sagte Haas. Aus Santa Teresa verschwunden? Genau, sie sind aus Santa Teresa verschwunden, doch gibt es Leute, die sie in Tucson, in Phoenix, sogar in Los Angeles gesehen haben wollen. Und wie können wir das überprüfen? Ganz einfach, besorgt euch die Telefonnummern ihrer Eltern und fragt nach ihnen, sagte Haas mit triumphierendem Lächeln.
Am zwölften November hörte Kommissar Juan de Dios Martínez über Polizeifunk, dass man erneut die Leiche einer in Santa Teresa ermordeten Frau entdeckt habe. Obwohl der Fall nicht ihm zugeteilt wurde, fuhr er zum Tatort zwischen den Straßen Caribe und Bermudas in der Siedlung Félix Gómez. Die Tote hieß Angélica Ochoa, und wie er von den Polizisten erfuhr, die die Straße abriegelten, sah die Sache mehr aus wie ein Racheakt als wie ein Sexualverbrechen. Kurz bevor der Mord geschah, hatten zwei Polizisten ein Paar dabei beobachtet, wie es auf dem Gehweg vor der Diskothek El Vaquero eine hitzige Diskussion führte, wollten aber nicht eingreifen, weil sie dachten, es handele sich um die klassische Streiterei zwischen Verliebten. Angélica Ochoa hatte eine Schusswunde an der linken Schläfe mit Austrittsöffnung im rechten Ohr. Eine zweite Kugel hatte ihre Wange getroffen, Austrittsöffnung rechte Halsseite. Eine dritte Kugel das rechte Knie. Eine vierte den linken Oberschenkel. Eine fünfte und letzte Kugel den rechten Oberschenkel. Die Schussfolge, dachte Juan de Dios, war vermutlich genau umgekehrt, die fünfte Kugel zuerst und die erste zuletzt, der Gnadenschuss in die linke Schläfe. Wo befanden sich die Polizisten, die das Paar hatten streiten sehen, in dem Moment, als die Schüsse fielen? Auf die Frage konnten sie keine klare Antwort geben. Sie sagten, sie hätten die Schüsse gehört, seien umgedreht und in die Calle Caribe zurückgefahren, wo nur noch Angélica am Boden lag und die ersten Schaulustigen aus den umliegenden Gebäuden zum Vorschein kamen. Tags darauf ließ die Polizei verbreiten, es handele sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft, der mutmaßliche Täter heiße Rubén Gómez Arancibia und sei ein ortsansässiger Zuhälter, auch bekannt als der Keiler, nicht weil er wie einer aussah, sondern weil er manchmal prahlte, er habe viele Männer »gekeilt«, womit er sagen wollte, dass er viele Männer zur Strecke gebracht hatte, durch Verrat und Übervorteilung, wie es sich für einen zweit- oder drittklassigen
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