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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Zuhälter gehörte. Angélica Ochoa war seine Frau, und offenbar hatte der Keiler mitbekommen, dass sie ihn verlassen wollte. Wahrscheinlich war der Mord nicht mit Vorbedacht geschehen, dachte Juan de Dios in seinem Wagen, der an einer dunklen Ecke parkte. Wahrscheinlich wollte der Keiler zuerst nur weh tun oder einschüchtern oder warnen, daher der erste Schuss in den rechten Oberschenkel, dann gesellte sich beim Anblick von Angélicas schmerzverzerrtem oder überraschtem Gesicht zur Wut ein Sinn für Humor, abgründigen Humor, der sich in einem Wunsch nach Symmetrie äußerte, woraufhin er auf ihren linken Oberschenkel schoss. Von da an kannte er kein Halten mehr. Der Damm war gebrochen. Juan de Dios lehnte den Kopf an den Lenker und versuchte zu weinen, was ihm nicht gelang. Die Bemühungen der Polizei, den Keiler zu finden, waren erfolglos. Er blieb verschwunden.
    Mit neunzehn begann ich mit Männern zu schlafen. Mein Sexualleben ist in ganz Mexiko legendär. Aber Legenden sind niemals wahr, am wenigsten in Mexiko. Das erste Mal, dass ich mit einem Mann ins Bett ging, geschah aus Neugier. Sie haben richtig gehört. Weder aus Liebe noch aus Bewunderung, noch aus Angst, aus welchen Gründen Frauen es sonst gemeinhin tun. Ich hätte aus Mitleid mit ihm schlafen können, denn der Junge, mit dem ich mein erstes Mal erlebte, tat mir eigentlich leid, aber wahr ist, dass ich es aus reiner Neugier tat. Nach zwei Monaten ließ ich ihn sitzen und ging mit einem anderen, einem Schwachkopf, der sich für einen großen Revolutionär hielt. Mexiko ist reich an Schwachköpfen dieses Kalibers. Burschen von umwerfender Stupidität und Arroganz, die, wenn sie einer Esquivel Plata begegnen, den Verstand verlieren, sie auf der Stelle vögeln wollen, als wäre die Eroberung einer Frau gleichbedeutend mit der Einnahme des Winterpalais. Das Winterpalais! Wo sie nicht einmal imstande sind, den Rasen vor der Sommerdatscha zu mähen! Nun, auch er wurde bald abserviert. Er ist heute ein recht bekannter Journalist, der, immer wenn er betrunken ist, erzählt, er sei meine erste große Liebe gewesen. Die Liebhaber, die danach kamen, nahm ich mir, weil sie gut im Bett waren oder weil ich mich langweilte und sie witzig oder amüsant oder so skurril waren, so unsagbar skurril, dass nur ich über sie lachen konnte. Eine Zeitlang, wie Sie sicher wissen, spielte ich eine nicht ganz unbedeutende Rolle innerhalb der universitären Linken. Bis ich irgendwann nach Kuba reiste. Danach heiratete ich, bekam ein Kind, mein Mann, der ebenfalls zur Linken gehörte, ging zum PRI. Ich begann als Journalistin zu arbeiten. Sonntags fuhr ich in mein Haus, ich meine, in mein altes Haus, wo meine Familie langsam verfaulte, lief die Flure auf und ab und durch den Garten, schaute mir Fotoalben an, las die Tagebücher unbekannter Vorfahren, die mehr Gebetbücher als Tagebücher waren, suchte die Ruhe, saß in abwartendes Schweigen gehüllt am steinernen Brunnen im Hof und rauchte eine Zigarette nach der anderen, ohne zu lesen, ohne zu denken, manchmal ohne mich an irgendetwas erinnern zu können. Ich langweilte mich ganz einfach. Ich wollte irgendetwas tun, wusste aber nicht genau, was. Wenige Monate später ließ ich mich scheiden. Meine Ehe hatte keine zwei Jahre gehalten. Natürlich versuchte meine Familie mich umzustimmen, sie drohten, mich auf die Straße zu setzen, sagten, übrigens mit vollem Recht, dass ich die erste Esquivel sei, die das heilige Sakrament der Ehe breche. Ein Onkel, Don Ezequiel Plata, ein greiser, neunzigjähriger Priester, wollte mit mir plaudern, ein zwangloses Zwiegesprächsgeplauder mit mir führen, da jedoch, als sie am wenigsten damit rechneten, brach die Bestie der Herrschsucht aus mir hervor, der Meinungsführerschaft, würde man heute sagen, und ich verwies jeden Einzelnen und alle zusammen auf den Platz, der ihnen zukam. Mit einem Wort: Hinter diesen Mauern verwandelte ich mich in das, was ich bin und bis zu meinem Tod sein werde. Ich sagte, die Zeit der Frömmelei und Rumnerverei sei vorbei. Ich sagte, ich würde keine Weicheier in der Familie mehr dulden. Ich sagte, der Besitz und die Güter der Esquivel würden von Jahr zu Jahr schrumpfen, und wenn es so weiterginge, würden zum Beispiel mein Sohn oder meine Enkel, sofern mein Sohn mir nachschlüge und nicht ihnen, nicht einmal das Geld für die eigene Beerdigung zurückbehalten. Ich sagte, ich wolle keine Widerworte hören. Ich sagte, wenn einem meine Worte nicht passten, könne

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