2666
Taxi und brachten das Wohnzimmer in Ordnung.
Espinoza schrieb ein paar Abschiedszeilen. Pelletier sah sie im Vorbeigehen, überlegte kurz und beschloss, auch ein paar Zeilen zu schreiben. Bevor sie aufbrachen, fragte er Espinoza, ob er nicht duschen wolle. Ich werde in Madrid duschen, erwiderte der Spanier. Da ist das Wasser besser. Stimmt, sagte Pelletier, obwohl ihm die Antwort blöd und versöhnlich vorkam. Dann brachen sie in aller Stille auf und frühstückten - wie schon so oft - am Flughafen.
Während seine Maschine ihn zurück nach Paris brachte, musste Pelletier unbegreiflicherweise an das Buch über Berthe Morisot denken, das er in der vergangenen Nacht am liebsten an die Wand geknallt hätte. Warum? fragte sich Pelletier. Mochte er Berthe Morisot nicht oder nicht das, was sie in einem bestimmten Moment darstellen konnte? Eigentlich mochte er Berthe Morisot. Plötzlich fiel ihm ein, dass nicht Norton dieses Buch gekauft hatte, sondern er, dass er mit dem in Geschenkpapier verpackten Buch von Paris nach London gereist war, dass die ersten Reproduktionen, die Norton von Berthe-Morisot-Gemälden gesehen hatte, die in diesem Band waren, während Pelletier neben ihr saß, ihren Nacken liebkoste und jedes Bild von Berthe Morisot kommentierte. Bedauerte er es jetzt, ihr das Buch geschenkt zu haben? Nein, ganz sicher nicht. Hatte die impressionistische Malerin irgend etwas mit ihrer Trennung zu tun? Ein lächerlicher Gedanke. Warum hatte er dann das Buch an die Wand knallen wollen? Und was noch wichtiger war: Warum dachte er an Berthe Morisot und an das Buch und an Nortons Nacken und nicht an die vage Möglichkeit einer ménage à trois, die in dieser Nacht wie ein heulender indianischer Medizinmann durch die Wohnung der Engländerin geschwebt war, ohne feste Gestalt annehmen zu können?
Während seine Maschine ihn zurück nach Madrid brachte, dachte Espinoza, anders als Pelletier, an den Roman, den er als Archimboldis letzten ansah, und dass, wenn er recht behielt, wovon er überzeugt war, keine weiteren Romane von Archimboldi mehr folgen würden, mit allen Konsequenzen, die das hatte, und er dachte an ein brennendes Flugzeug und an die heimlichen Wünsche von Pelletier (sehr modern, der alte Mistkerl, aber nur, wenn es ihm passt), und ab und zu schaute er aus dem Fenster und warf einen Blick auf die Motoren und konnte es kaum erwarten, zurück in Madrid zu sein.
Eine Zeitlang verzichteten Pelletier und Espinoza auf ihre regelmäßigen Telefonate. Pelletier rief ab und zu Norton an, obwohl die Gespräche mit Norton von Mal zu Mal wie soll man sagen? - künstlicher wurden, als würde die Beziehung nur durch ihre guten Manieren aufrechterhalten, und genauso oft wie früher Morini, mit dem sich nichts geändert hatte.
Espinoza erging es ebenso, obwohl er etwas länger brauchte, um zu begreifen, dass Norton es ernst meinte. Selbstverständlich merkte Morini, dass mit seinen Freunden etwas los war, aber aus Diskretion oder Trägheit, einer dumpfen und zugleich schmerzlichen Trägheit, die ihn manchmal in die Zange nahm, tat er lieber völlig ahnungslos, wofür Espinoza und Pelletier ihm dankbar waren.
Sogar Borchmeyer, dem das Tandem, das der Spanier und der Franzose bildeten, durchaus Respekt einflößte, bemerkte einen neuen Zug in der Korrespondenz, die er mit ihnen unterhielt, versteckte Andeutungen, sanftes Zurückrudern, winzige, aber, wenn es um sie beide ging, äußerst beredte Zweifel bezüglich der bislang gemeinsamen Methodik.
Es folgten eine Germanistenversammlung in Berlin, ein Kongress Deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts in Stuttgart, ein Symposium zur deutschen Literatur in Hamburg und eine Konferenz über die Zukunft der deutschen Literatur in Mainz. An der Versammlung in Berlin nahmen Norton, Morini, Pelletier und Espinoza teil, aber aus irgendeinem Grund saßen sie nur einmal alle vier bei einem Frühstück zusammen, wo sie außerdem von anderen Germanisten umgeben waren, die unerschrocken um Butter und Marmelade kämpften. Den Kongress besuchten Pelletier, Espinoza und Norton, und obschon Pelletier mit Norton allein sprechen konnte (während Espinoza sich mit Schwarz austauschte), verließ er, als Espinoza an der Reihe war, mit Norton zu sprechen, diskret mit Dieter Hellfeld den Raum.
Diesmal fiel es Norton auf, dass ihre Freunde nicht miteinander reden wollten, sich zuweilen geradezu aus dem Weg gingen, was sie betroffen machte, denn in gewisser Weise fühlte sie sich schuldig an
Weitere Kostenlose Bücher