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über Politik sprachen, waren sie sogar richtig sympathisch. Eine von ihnen hatte außerdem dieselbe Nonnenschule besucht wie Kelly und ich, nur zwei Klassen unter uns, und so gab es gemeinsame Erinnerungen. Wir tranken Tee, sprachen über Männer und unsere Berufe, alle drei lehrten sie an der Universität und zwei von ihnen waren geschieden, sie fragten mich, warum ich nie geheiratet hätte, ich lachte, weil, gestand ich ihnen, ich im Grunde die größte Feministin von allen sei. Am dritten Tag rief mich Loya um zehn Uhr abends an. Er sagte, er habe bereits einen ersten Bericht, und wenn ich wolle, könne ich ihn sofort bekommen. Lieber gestern als heute, sagte ich. Wo stecken Sie? In meinem Wagen, sagte Loya, Sie brauchen sich nicht bemühen, ich komme bei Ihnen vorbei. Loyas Bericht war zehn Seiten lang. Seine Arbeit bestand in einer detaillierten Auflistung von Kellys beruflichen Aktivitäten. Es tauchten einige Namen auf, Leute aus DF, Partys in Acapulco, Mazatlán, Oaxaca. Loya zufolge konnte man die meisten von Kellys beruflichen Engagements durchaus als verdeckte Prostitution bezeichnen. Prostitution auf gehobenem Niveau. Ihre Models waren Nutten, die Feste, die sie organisierte, reine Männerveranstaltungen, sogar ihre Gewinnbeteiligung glich der einer besseren Puffmutter. Ich sagte, das könne ich nicht glauben. Ich warf ihm die Papiere ins Gesicht. Loya beugte sich, hob die Blätter auf und gab sie mir zurück. Lesen Sie zu Ende, sagte er. Ich las weiter. Scheiße, die reine Scheiße. Auch der Name Salazar Crespo tauchte auf. Loya zufolge hatte Kelly schon öfters für Salazar Crespo gearbeitet, insgesamt viermal. Außerdem las ich, dass Kelly zwischen 1990 und 1994 mindestens zehnmal nach Hermosillo geflogen war, und dass sie in sieben von zehn Fällen eine Anschlussmaschine nach Santa Teresa genommen hatte. Die Treffen mit Salazar Crespo fielen immer in die Rubrik »Partyplanung«. Den Flügen Hermosillo-DF nach zu urteilen, blieb sie nie länger als zwei Nächte in Santa Teresa. Mit wie vielen Models sie anreiste, war unterschiedlich. Anfangs, im Jahr 1990 oder 1991, kam sie mit vier oder fünf. Später nur noch mit zwei, und die letzten Reisen unternahm sie allein. Möglicherweise hatte sie da tatsächlich Partys organisiert. Ein weiterer Name tauchte neben dem von Salazar Crespo auf. Ein gewisser Conrado Padilla, Unternehmer aus Sonora mit Beteiligungen an einigen Maquiladoras, einigen Transportfirmen und am Schlachthof von Santa Teresa. Für Conrado Padilla habe sie, so Loya, dreimal gearbeitet. Wer dieser Conrado Padilla sei, fragte ich ihn. Loya zuckte die Schultern und sagte, er sei ein Typ mit viel Geld, also jemand, der allen erdenklichen Gefahren und Schicksalsschlägen ausgesetzt sei. Ich fragte ihn, ob er in Santa Teresa gewesen sei. Nein, sagte er. Ich fragte, ob er einen seiner Mitarbeiter hingeschickt habe. Nein, sagte er. Ich sagte, er solle nach Santa Teresa fahren, ich wolle ihn dort sehen, im Brennpunkt der Angelegenheit, und dass er die Ermittlungen fortsetzen solle. Er schien eine Weile über meinen Vorschlag nachzudenken oder sich vielmehr die passenden Worte zurechtzulegen. Dann sagte er, er wolle nicht, dass ich mein Geld und meine Zeit verschwende. Dass der Fall, so wie er die Dinge sehe, abgeschlossen sei. Wollen Sie damit sagen, Sie glauben, dass Kelly tot ist? schrie ich ihn an. Mehr oder weniger, sagte er, ohne im mindesten die Fassung zu verlieren. Was heißt mehr oder weniger? Entweder sie ist tot oder sie ist nicht tot, zum Teufel. In Mexiko kann jemand mehr oder weniger tot sein, erwiderte er sehr ernst. Ich sah ihn an und hatte Lust, ihn zu ohrfeigen. Was war das für ein kalter, reservierter Typ. Nein, sagte ich, fast jede Silbe betonend, weder in Mexiko noch irgendwo sonst auf der Welt kann jemand mehr oder weniger tot sein. Hören Sie auf, wie ein Reiseführer zu reden. Entweder meine Freundin lebt, und dann will ich, dass Sie sie finden, oder sie ist tot, und dann will ich ihre Mörder. Loya lächelte. Worüber lachen Sie? fragte ich. Das mit dem Reiseführer hat mir gefallen, sagte er. Ich habe Mexikaner satt, die reden und sich benehmen, als wäre das alles hier Pedro Páramo, sagte ich. Aber vielleicht ist es das ja, sagte Loya. Nein, ist es nicht, das kann ich Ihnen versichern, sagte ich. Eine Weile schwieg Loya, saß sehr würdevoll und mit übergeschlagenen Beinen da und dachte über das nach, was ich gesagt hatte. Es kann Monate dauern, sogar Jahre, sagte
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