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dessen Kleidung und äußere Erscheinung Esthers Mörder gleiche, in der Hand eine Smith & Wesson, wie sie Esthers Mörder besaß, und eine Kugel in der rechten Schläfe. Er hieß Francisco López Ríos und hatte ein langes Vorstrafenregister wegen Autodiebstahls. Aber er war kein eingefleischter Mörder, und jemanden getötet zu haben, und sei es unabsichtlich, musste ihm schwer zugesetzt haben. Der Mann hat sich umgebracht, sagte Ortiz Rebolledo. Fall abgeschlossen. Später meinte Lalo Cura zu Epifanio, es sei doch seltsam, dass es keine Identifizierung der Leiche durch die Zeugen gegeben habe. Seltsam auch, dass die Begleiter des Täters nicht aufgetaucht seien. Ebenfalls seltsam, dass die Smith & Wesson, nachdem man sie in die Asservatenkammer der Polizei gegeben hatte, verschwunden sei. Am seltsamsten aber sei, dass ein Autodieb sich umgebracht haben soll. Haben Sie diesen Francisco López Ríos gekannt?, fragte Epifanio. Ich habe ihn einmal gesehen und würde ihn nicht gerade attraktiv nennen, sagte Lalo Cura. Nein, er ähnelte eher einer Ratte. Alles sehr seltsam, sagte Epifanio.
Zwei Jahre lang arbeitete Loya für mich an dem Fall. Zwei Jahre hatte ich Zeit, ein Bild zu formen, das ich nach und nach in den Medien etablieren konnte: Das einer Frau, die sich gegen Gewalt einsetzte, die für den Wandel innerhalb der Partei stand, nicht nur für einen Generationswechsel, sondern für einen Einstellungswandel, für eine offene, undogmatische Sicht auf die mexikanische Wirklichkeit. In Wirklichkeit kochte in mir bloß die Wut über Kellys Verschwinden, über den makabren Scherz, den man sich mit ihr erlaubt hatte. Immer weniger bedeutete mir das Ansehen, das ich mir in der sogenannten Öffentlichkeit erwerben konnte, bei den Wählern, die ich im Grunde nicht zu Gesicht bekam oder die ich, wenn ich sie zufällig doch einmal sah, verachtete. In dem Maße jedoch, wie ich von weiteren Fällen erfuhr, in dem Maße, wie ich andere Stimmen hörte, bekam meine Wut etwas, sagen wir, Großformatiges, wurde meine Wut kollektiv oder Ausdruck von etwas Kollektivem, sah sich meine Wut, wenn sie sich anschauen ließ, als der rächende Arm Tausender Opfer. Im Grunde, glaube ich, stand ich kurz davor, den Verstand zu verlieren. Die Stimmen, die ich hörte (nur Stimmen, ohne Gesichter, ohne Körper), kamen aus der Wüste. Durch die Wüste irrte ich mit einem Messer in der Hand. In der Messerklinge spiegelte sich mein Gesicht. Ich hatte weiße Haut, meine Wangen waren wie ausgelutscht, von kleinen Narben bedeckt. Jede Narbe war eine kleine Geschichte, an die ich mich vergeblich zu erinnern suchte. Am Ende nahm ich Beruhigungspillen. Loya traf ich alle drei Monate. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin mied ich sein Büro. Manchmal rief er mich an, manchmal ich ihn, über eine sichere Leitung, und nie besprachen wir wichtige Dinge am Telefon, denn, sagte Loya, nichts ist hundertprozentig sicher. Auf Grundlage seiner Ermittlungen erstellte Loya eine Karte, vervollständigte das Puzzle der Gegend, wo Kelly verschwunden war. So erfuhr ich, dass die Partys, die der Banker Salazar Crespo gab, in Wirklichkeit Orgien waren und dass Kelly bei diesen Orgien vermutlich den Taktstock schwang. Loya hatte mit einem Model gesprochen, das einige Monate bei Kelly beschäftigt gewesen war und jetzt in San Diego lebte. Das Model hatte ihm gesagt, Salazar Crespo habe die Feste auf zweien seiner Ranchs veranstaltet, mal da, mal dort, Landgüter, die nichts abwarfen, die Reiche sich kauften, ohne sie für Viehzucht oder Ackerbau nutzen zu wollen. Einfach ein Stück Land und in der Mitte ein großes Haus mit einem geräumigen Salon und vielen Zimmern, manchmal auch mit einem Swimmingpool, im Grunde seelenlose Anwesen, denen die weibliche Hand fehlte. Im Norden nennt man sie Drogenranchs, weil viele Drogenhändler solche Ranchs besitzen, die weniger Ranchs als Stützpunkte in der Wüste sind, einige sogar mit Wachtürmen, in denen sie ihre besten Scharfschützen postieren. Diese Drogenranchs stehen manchmal monatelang leer. Bestenfalls lässt man einen Angestellten dort wohnen, ohne Schlüssel für das Haupthaus und ohne besonderen Auftrag, der auf dem kargen, unbewirtschafteten Gelände herumläuft und nur darauf achten soll, dass sich dort kein Rudel wilder Hunde einnistet. Diese armen Teufel haben nur ein Handy und ein paar vage Anweisungen, die sie mit der Zeit vergessen. Loya meinte, es komme nicht selten vor, dass einer von ihnen stirbt, ohne dass es
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