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Loya schließlich. Und außerdem, fügte er noch hinzu, glaube ich nicht, dass man mich meine Arbeit machen lassen wird. Wer? Ihre eigenen Leute, Frau Abgeordnete, Ihre eigenen Parteigenossen. Ich werde hinter Ihnen stehen, ich werde Ihnen jederzeit den Rücken stärken, sagte ich. Mir scheint, Sie überschätzen sich, sagte Loya. Verflucht, natürlich überschätze ich mich, wenn ich das nicht täte, wäre ich nicht da, wo ich heute bin, sagte ich. Loya versank wieder in Schweigen. Einen Moment lang dachte ich, er sei eingeschlafen, aber seine Augen waren weit offen. Wenn Sie es nicht tun, werde ich einen anderen finden, sagte ich, ohne ihn anzusehen. Nach einer Weile erhob er sich. Ich begleitete ihn zur Tür. Werden Sie für mich arbeiten? Ich will sehen, was ich tun kann, aber ich verspreche nichts, sagte er und verlor sich auf dem Weg, der zur Straße führte, wo sich mein Leibwächter und mein Fahrer befanden, die sich wie zwei Zombies mit Wortspielen beharkten.
Eines Nachts träumte Mary-Sue Bravo, dass am Fußende ihres Bettes eine Frau säße. Sie spürte das Gewicht eines Körpers, der die Matratze eindrückte, aber als sie die Beine ausstreckte, berührte sie nichts. An diesem Abend hatte sie vor dem Schlafengehen im Internet einige Artikel über die Uribes gelesen. In einem, der vom Korrespondenten einer bekannten Tageszeitung aus DF gezeichnet war, hieß es, dass Antonio Uribe tatsächlich verschwunden sei. Sein Vetter, Daniel Uribe, halte sich allem Anschein nach in Tucson auf, der Journalist habe mit ihm telefoniert. Daniel Uribe zu folge seien die von Haas verbreiteten Informationen eine Aneinanderreihung leicht zu widerlegender Lügen. Zum Aufenthaltsort von Antonio jedoch machte er keine genauen Angaben, oder die Angaben, die der Journalist ihm hatte entlocken können, waren widersprüchlich, vage, hinhaltend. Als Mary-Sue erwachte, hatte sie noch immer ein wenig das Gefühl, dass sich eine andere Frau im Zimmer befand, bis sie aufstand und in der Küche ein Glas Wasser trank. Am nächsten Tag rief sie Haas' Anwältin an. Sie wusste nicht genau, was sie sie fragen wollte, welche Antworten sie erwartete, aber das Bedürfnis, ihre Stimme zu hören, war stärker als jeder logische Imperativ. Nachdem sie sich zu erkennen gegeben hatte, fragte sie, wie es ihrem Klienten gehe. Genauso wie in den vergangenen Monaten, sagte Isabel Santolaya. Dann fragte sie, ob sie die Erklärungen von Daniel Uribe gelesen habe. Die Anwältin bejahte. Ich will versuchen, ihn zu interviewen, sagte Mary-Sue. Fällt Ihnen etwas ein, was ich ihn fragen sollte? Nein, mir fällt nichts ein, sagte die Anwältin. Mary-Sue kam es so vor, als spräche die Anwältin wie ein Mensch, den man in eine hypnotische Trance versetzt hat. Dann fragte sie sie unvermittelt nach ihrem Leben. Mein Leben tut nichts zur Sache, sagte die Anwältin. Der Ton, in dem sie das sagte, glich dem einer hochmütigen Mutter, die so zu einer vorwitzigen Jugendlichen spricht.
Am fünfzehnten Dezember wurde die vierundzwanzigjährige Esther Perea Peña im Tanzlokal Los Lobos durch eine Kugel getötet. Das Opfer saß in Gesellschaft dreier Freundinnen an einem Tisch. An einem der Nachbartische zog ein junger, gutaussehender Mann in schwarzem Anzug und weißem Hemd eine Pistole aus der Tasche und fuchtelte damit herum. Bei der Waffe handelte sich um eine Smith & Wesson Modell 5906 mit Magazin für fünfzehn Schuss. Zeugen zufolge hatte derselbe junge Mann zuvor Esther und eine ihrer Freundinnen zum Tanzen aufgefordert, was in einer entspannten und herzlichen Atmosphäre geschehen war. Weiter sagten die Zeugen aus, die beiden Begleiter des Mannes mit der Pistole hätten diesen ermahnt, die Waffe wegzustecken, doch habe er nicht auf sie gehört. Anscheinend wollte er jemandem imponieren, möglicherweise dem Opfer selbst oder ihrer Freundin, mit der er vorher getanzt hatte. Anderen Zeugen zufolge habe der Typ gesagt, er sei Kommissar im Rauschgiftdezernat. Sein Äußeres sprach dafür. Er war groß und kräftig und hatte außerdem einen akkuraten Haarschnitt. Irgendwann, während er mit der Waffe herumhantierte, löste sich ein Schuss, der Esther traf und tödlich verletzte. Als der Notarzt eintraf, war die junge Frau bereits tot und der Täter verschwunden. Kommissar Ortiz Rebolledo nahm sich persönlich des Falles an und konnte am nächsten Morgen der Presse mitteilen, dass die Polizei auf dem alten Sportgelände von PEMEX die Leiche eines Mannes gefunden habe,
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