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mich selbst erforschen? Endlich hatte er das viele Fragen satt, holte sich einen runter und wurde vom Schlaf übermannt.
Das andere Mal, dass der junge Hans Reiter um ein Haar ertrunken wäre, war im Winter, als er mit Küstenfischern hinausfuhr, die ihre Netze vor dem Dorf der Blauen Frauen auswarfen. Die Nacht brach herein, und die Fischer begannen über die Lichter zu reden, die sich am Meeresgrund bewegten. Einer sagte, das seien tote Fischer, die den Weg in ihre Dörfer und zu den Friedhöfen an Land suchten. Ein anderer sagte, das seien leuchtende Flechten, Flechten, die nur einmal im Monat leuchten, als würde sich in einer Nacht entladen, was sie in dreißig Tagen gespeichert hatten. Wieder ein anderer sagte, es sei eine Anemonenart, die es nur an dieser Küste gebe, und das Leuchten gehe von den Anemonenweibchen aus, die so die Anemonenmännchen anlockten, obwohl Anemonen im Allgemeinen, das heißt, auf der ganzen Welt, Hermaphroditen seien, nicht Männchen oder Weibchen, sondern Männchen und Weibchen in ein und demselben Körper, als wäre der Verstand eingeschlafen, und wie er wieder aufwachte, hätte ein Teil der Anemone den anderen gebumst, als hätten wir gleichzeitig eine Frau und einen Mann in uns oder einen Schwulen und einen Mann im Fall der unfruchtbaren Anemonen. Noch andere sagten, es seien elektrische Fische, eine sehr merkwürdige Sorte, vor denen man sich hüten müsse, denn im Netz unterschieden sie sich durch nichts von anderen Fischen, aber jeder, der sie isst, wird krank, denn sie verursachen fürchterliche Stromschläge im Magen, die gelegentlich sogar zum Tod führen.
Während die Fischer so sprachen, trieb den jungen Hans Reiter seine unbezwingliche Neugier, vielleicht auch seine Verrücktheit, die ihn manchmal veranlasste, Dinge zu tun, die man besser nicht tat, sich ohne Vorwarnung von Bord fallen zu lassen und auf den Meeresgrund zu tauchen, dem Licht oder den Lichtern jener einzigartigen Fische oder jenes einzigartigen Fischs hinterher, und die Fischer blieben zunächst ruhig, schrien und lamentierten nicht, denn alle kannten die Flausen des jungen Reiter, aber als sein Kopf nach einigen Sekunden nicht wieder auftauchte, machten sie sich Sorgen, denn wenn sie auch ungebildete Preußen waren, so waren sie doch auch Seeleute und wussten, dass niemand es länger als zwei Minuten (ungefähr) ohne zu atmen aushalten konnte, jedenfalls kein kleiner Junge, dessen Lungen, er mochte noch so hoch aufgeschossen sein, einer solchen Anstrengung nicht gewachsen waren.
Schließlich sprangen zwei von ihnen ins dunkle Meer, ein Wolfsrudel von Meer, und tauchten rund um das Boot nach dem jungen Reiter, ohne Erfolg, weshalb sie hochkommen mussten, um Luft zu holen, und, bevor sie erneut tauchten, die im Boot fragten, ob der Bengel schon wieder oben sei. Unter der Last der abschlägigen Antwort verschwanden sie noch einmal in den dunklen Wogen, die an Waldtiere erinnerten, und einer, der nicht mitgemacht hatte, schloss sich ihnen an, und er war es, der in rund fünf Metern Tiefe den Körper des jungen Reiter wie eine entwurzelte Alge nach oben treiben sah, strahlend weiß im unterseeischen Raum, er war es, der ihn unter den Achseln packte und nach oben zog, und er war es auch, der den jungen Reiter zwang, das ganze Wasser zu erbrechen, das er geschluckt hatte.
Als Hans Reiter zehn Jahre alt war, bekamen die Einäugige und der Einbeinige ihr zweites Kind. Es wurde ein Mädchen, und sie gaben ihm den Namen Lotte. Die Kleine war ausgesprochen schön und vielleicht das erste Geschöpf der Erdoberfläche, das Hans Reiters Interesse (oder Gefühle) weckte. Häufig überließ man Lotte seiner Obhut. In kürzester Zeit lernte er, wie man Windeln wechselte, Fläschchen bereitete und die Kleine herumtrug, bis sie eingeschlafen war. Für Hans war seine Schwester das Beste, was ihm je widerfahren war, und oft versuchte er sie zu zeichnen, im selben Heft wie seine Algen, aber immer mit unbefriedigendem Ergebnis; mal sah das Mädchen aus wie ein am Kiesstrand herumliegender Müllsack, mal wie Petrobius maritimus, ein Meeresinsekt, das in den Felsen und Felsspalten lebt und sich von organischen Abfällen ernährt, oder sogar wie Lipura maritima, ebenfalls ein Meeresinsekt, das Wasserlachen in den Klippen bewohnt.
Allmählich aber, indem er seine Phantasie anspornte oder seinen Geschmack anspornte oder seine künstlerische Ader anspornte, gelang es ihm, sie wie eine kleine Sirene zu zeichnen, mehr Fisch als
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